Israels Ex-Ministerpräsident gestorben Der Hass auf Scharon ist immer noch lebendig
Er galt als vielleicht schillerndster und umstrittenster Politiker Israels. Nun zeigt sich: Auch nach seinem Tod spaltet Ariel Scharon sein Umfeld in Bewunderer und scharfe Kritiker. Politiker weltweit zollten ihm heute Respekt. Vertreter der Palästinenser bezeichneten Scharon hingegen als "Verbrecher".
Nach acht Jahren im Koma ist der frühere israelische Ministerpräsident Ariel Scharon im Alter von 85 Jahren gestorben. "Er ist gegangen. Er ging, als er entschieden hatte, zu gehen", sagte sein Sohn Gilad Scharon. Der wegen seiner militärischen Erfolge von vielen geliebte und anderen gehasste General verstarb am Samstag in einer Klinik bei Tel Aviv.
Ein Sprecher des Krankenhauses sagte, Scharons Herz sei immer schwächer geworden und er sei friedlich von seiner Familie geschieden, die ihn immer mit Liebe unterstützt habe. Der frühere Politiker und General hatte im Januar 2006, auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht, einen Schlaganfall erlitten und lag seitdem im Koma. In den vergangenen Tagen hatte sich sein Zustand nach dem Versagen mehrerer Organe bereits deutlich verschlechtert.
Ein Leben lang an der Frontlinie
Israels Regierung reagierte bestürzt auf die Nachricht von Scharons Tod. Israel verneige sich vor ihm und werde sein Andenken "für immer" in Ehren halten, sagte Regierungschef Netanjahu. Präsident Schimon Peres würdigte Scharon als einen "mutigen Soldaten und kühnen Anführer". Er sei "einer der wichtigsten Architekten" des Landes gewesen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobte den "politischen Mut" Scharons. Die israelische Regierung solle sich dessen Pragmatismus bei den derzeitigen Nahostverhandlungen zum Beispiel nehmen, ließ Ban über seinen Sprecher mitteilen.
Ehud Olmert, der auf Scharon nach dem Schlaganfall im Amt des Regierungschefs folgte, pries ihn und sein Lebenswerk. "Sein ganzes Leben stand Arik (Spitzname) in der Frontlinie, an der sich das Schicksal Israels entschied", teilte Olmert mit. Scharon habe Mut, menschliche Wärme und Führungskraft bewiesen, als Israel das gebraucht habe.
Anerkennung durch Obama und Merkel
US-Präsident Barack Obama erklärte, Scharon habe "sein Leben ganz dem Staat Israel gewidmet". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hob die "großen Verdienste" des früheren Regierungschefs hervor. "Mit seiner mutigen Entscheidung, die israelischen Siedler aus dem Gazastreifen abzuziehen, hat er einen historischen Schritt auf dem Weg zu einem Ausgleich mit den Palästinensern und zu einer Zwei-Staaten-Lösung getan", erklärte Merkel in Berlin.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, Scharon sei ein "unermüdlicher Verteidiger seines geliebten Heimatlandes Israel" gewesen. Steinmeier wird am Montag zu einem Besuch in Israel erwartet. Frankreichs Präsident François Hollande lobte Scharon dafür, dass er am Ende seiner langen militärischen und politischen Karriere den Dialog mit den Palästinensern gesucht habe.
Scharon war ins Koma gefallen, als er an der Spitze der Regierung gerade eine dramatische politische Wende eingeleitet hatte: Er wollte die Grenzen Israels neu ziehen und so einer Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts den Weg bereiten. Seit seinem Tod hat es in dem Konflikt keinen Durchbruch gegeben.
Viele hofften auf einen Prozess in Den Haag
Bei vielen Palästinensern ist Scharon trotz seines Politikschwenks verhasst. Eine offizielle Untersuchung gab ihm die "indirekte Verantwortung" für ein Massaker an mehreren hundert Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im September 1982. Scharon sei ein "Verbrecher" gewesen, sagte ein Vertreter der palästinensischen Fatah, Dschibril Radschub, der Nachrichtenagentur AFP. Die Palästinenser hätten gehofft, dass sich Scharon "vor dem Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrecher hätte verantworten müssen".
Andere Kräfte um Palästinenserpräsident Mahmud Abbas warfen Scharon "Gräueltaten" vor. Auf Scharon warte nun Gottes Strafe, sagte das führende Fatah-Mitglied Dschamal Muhessen der Nachrichtenagentur dpa. "Er wird für seine Verbrechen bestraft werden, vor allem für Sabra und Schatila", betonte Muhessen. Während des Libanon-Krieges hatten mit Israel verbandelte libanesische Milizen 1982 Hunderte Palästinenser in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ermordet. Abbas selbst, der mit Israel Friedensgespräche führt, äußerte sich zunächst nicht zum Tode Scharons.
Ein "Verbrecher"
Erwartbar anders nahmen auch Vertreter der Hamas die Nachricht von Scharons Tod auf. "Wir werden ihn als den Mann in Erinnerung behalten, der tötete, zerstörte und das Leiden vieler Palästinensergenerationen verursachte", sagte Chalil Al-Hajja, ein ranghohes Mitglied der im Gazastreifen herrschenden Hamas.
Ähnlich äußerte sich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Es sei bedauerlich, dass sich Scharon für diese Verbrechen niemals habe verantworten müssen, hieß es in einer Erklärung der NGO. Die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas erklärte Scharons Tod zum "historischen Augenblick". Mit Scharon sei ein "Verbrecher" gestorben, "dessen Hände mit palästinensischem Blut besudelt sind".
Scharons Besuch löste eine Intifada aus
Jahrzehntelang vertrat Scharon in seinen diversen Positionen eine harte Linie gegen die Palästinenser und die arabischen Nachbarn. Sein Besuch auf dem Tempelberg im Jahr 2000 galt als einer der Auslöser der zweiten Intifada. Er trieb den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten voran und befürwortete 2002 auch den Bau der 670 Kilometer langen Sperranlagen zum Westjordanland, mit denen sich Israel gegen palästinensische Anschläge schützen will.
Als Regierungschef bekannte sich Scharon jedoch seit 2003 zu einer Zwei-Staaten-Lösung im Konflikt mit den Palästinensern. Kurz vor seiner Krankheit ordnete er Mitte 2005 den Abzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen an und beendete damit 38 Jahre militärischer Besatzung. Dies galt vielen Anhängern als schockierende Kehrtwende Scharons. Noch im November 2005 trat er aus seiner langjährigen Partei Likud aus und gründete die Kadima-Partei.
Zweimal verheiratet
Der damals 77-Jährige wollte bei Wahlen im März 2006 erneut antreten. Doch erlitt er am 4. Januar 2006 einen schweren Schlaganfall und fiel ins Koma. Später wurde er für amtsunfähig erklärt. Er erlangte nie wieder das Bewusstsein, bewegte aber nach Angaben seiner Familie bisweilen die Augenlider und seine Finger.
Scharon war zweimal verheiratet. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er deren Schwester, die aber auch vor ihm verstarb. Er hinterlässt zwei Söhne. Ein dritter Sohn wurde 1967 im Kindesalter bei einem bewaffneten Angriff getötet.