Niederlande Der Euro-Kurs bestimmt die Wahl

Brüssel · Am Mittwoch wählen die Niederländer ein neues Parlament. Zum wichtigsten Thema im Wahlkampf ist der Umgang mit der Euro-Krise geworden. Denn im Zuge der schwächelnden Wirtschaft gewinnen die Euro-Skeptiker immer mehr die Oberhand. Sie könnten auf 40 der 150 Sitze kommen.

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Mark Rutte gefällt sich in der Rolle des strengen Hüters holländischer Steuer-Milliarden. "Bekommt Griechenland ein drittes Rettungspaket?", will die Moderatorin des Fernseh-Wahlduells vom Noch-Premier wissen. Der Rechtsliberale schüttelt energisch den Kopf: "Es gibt kein zusätzliches Geld." Die Währungsunion sei stark genug, eine Pleite Athens sowie den Austritt aus dem Euro zu verkraften, sagt der 45-Jährige mit dem Bubi-Lächeln.

Der überraschend harte Basta-Ton hat seinen strategischen Sinn. Die Euro-Skepsis in Holland wächst und bestimmt den Wahlkampf. Ein Grund: Die Krise ist im Polderland angekommen und schürt Verlustangst. Die Arbeitslosigkeit steigt und liegt erstmals seit zehn Jahren über sechs Prozent. Die Wirtschaft kommt nur langsam aus der Rezession, der Konsum schwächelt. Die Grundlage des Wohlstands in der Häuslebauergesellschaft wankt durch eine Immobilienkrise und dramatisch fallende Preise. Die Pro-Kopf-Verschuldung von 15 000 Euro klettert weiter.

Linkspopulisten zurückgefallen

Demoskopen sagen Anti-EU-Parteien etwa 40 der 150 Sitze im Parlament voraus. Rutte muss den Brüssel-Hassern wie Rechtspopulist Geert Wilders möglichst viele Stimmen abjagen, wenn er aus den Neuwahlen am Mittwoch als Sieger hervorgehen will. Das Rennen ist denkbar knapp: Die Sozialdemokraten (PvdA) liegen nach einer sensationellen Aufholjagd in der neuesten Umfrage von Ipsos Synovate gleichauf mit Ruttes rechtsliberaler VVD. Die zeitweise führenden Linkspopulisten SP sind innerhalb weniger Wochen auf Rang drei in der Wählergunst zurückgefallen, weil sich deren Spitzenkandidat Emile Roemer beim TV-Duell als inhaltlicher Dünnbrettbohrer entlarvte.

"Wollen wir liberal oder sozial aus der Krise": auf diese Richtungsentscheidung spitzt Diederik Samsom (PvdA) das Duell mit Premier Rutte im Endspurt zu. Der Rechtsliberale warnt, dass es mit einem Sieg der PvdA "weniger Jobs" und "eine Rückkehr zu Wartelisten im Gesundheitssystem" geben werde. Mit den Sozialdemokraten an der Macht würden "76 000 Arbeitsplätze verloren" gehen, während die VVD 285 000 neue Stellen schaffen wolle. 43 Prozent der Wahlberechtigten sind noch unentschieden. Um sie wird gerungen bis zuletzt.

Auch Angela Merkel dürfte das Kopf-an-Kopf-Rennen im Nachbarland genau verfolgen. Geht es doch am 12. September auch um den künftigen Europakurs der Niederlande — und die Frage, ob die Kanzlerin einen Verbündeten verliert. Bisher konnte sie auf die Unterstützung Hollands für ihren strikten Sparkurs im Kampf gegen die Schuldenkrise zählen. Ruttes gelb-schwarzes Minderheitskabinett stürzte gar vorzeitig über seine Stabilitäts-Politik.

Duldungspartner Geert Wilders wollte Ruttes Sparpaket zur Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien nicht mittragen und ließ das Bündnis platzen. Schließlich einigte sich der nur noch geschäftsführende Premier mit drei kleineren Oppositionsparteien aus dem Mitte-links-Spektrum auf Einschnitte von rund zwölf Milliarden Euro. Rutte will das Defizit 2013 auf die von der EU erlaubten drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurückfahren.

Schwieriger Partner für Berlin?

Sozialdemokrat Samsom will lieber in Wachstum investieren statt sklavisch Brüsseler Defizitgrenzen einzuhalten. Er kämpft zudem für eine gemeinsame Schuldenhaftung in der Währungsunion durch Eurobonds. Damit steht er europapolitisch dem "Club Med" der Südeuropäer unter Frankreichs Führung näher als der nordischen Achse der Stabilität um Angela Merkel. Gewinnt Samsom die Wahl, hat François Hollande einen neuen Verbündeten. Siegt Rutte und formt mit den Sozialdemokraten eine Regierung, dürfte auch das eine Abkehr vom ganz strikten Sparkurs bedeuten.

Für Merkel dürfte das Nachbarland wohl in jedem Fall ein schwierigerer Partner werden. Ihre Pläne für eine politische Union stoßen dort auf breite Ablehnung. Schon 2005 kippten die Niederländer in einer Volksabstimmung die EU-Verfassung aus Angst vor dem Brüsseler Superstaat. Damals führten Linkssozialisten (SP) und Wilders Rechtspopulisten (PVV) die Nein-Front an. Jene Parteien, die auch jetzt mit Euro-Kritik auf Stimmenfang gehen.

Rechtspopulist Wilders hat seine Anti-Islam-Parolen durch den Slogan "Raus aus dem Euro. Raus aus Europa" ersetzt. Doch viele nehmen ihm übel, dass er Ruttes Minderheitskabinett, dem er als Duldungspartner zu einer Mehrheit im Parlament verhalf, nach nicht einmal zwei Jahren zu Fall brachte. "Die Niederländer wollen in der Krise keine Experimente mehr. Sie wollen eine stabile Regierung", sagt André Krouwel, Politologe an der Universität Amsterdam.

Dafür zeichnen sich zwei Varianten ab: eine lila Koalition aus Rechtsliberalen (VVD), Sozialdemokraten (PvdA) und Linksliberalen (D66) — eventuell plus Grünlinks. Ein Kabinett der nationalen Einheit aus VVD, PvdA, D66 und den Christdemokraten (CDA) hätte wohl ebenfalls deutlich mehr als die Mehrheit von 76 der 150 Sitze im Parlament.

Als möglich gilt bei einem Sieg der Sozialdemokraten aber auch ein Linkskabinett mit den EU-skeptischen Sozialisten und kleineren Parteien. Eine Regierungsbeteiligung der Anti-Europa-Populisten vom linken oder rechten Rand (SP und PVV) wäre für Merkel der Polder-Gau.

(RP/das)
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