50. Jahrestag des Tibeteraufstands Der Dalai Lama — Chinas Erzfeind

Peking (RP). Gespannte Ruhe in Tibet: Vor 50 Jahren schlugen chinesische Truppen den Volksaufstand blutig nieder. Am Dienstag zum Jahrstag demonstriert Peking nervös seine Macht und greift das geistliche Oberhaupt der Tibeter scharf an.

Der Tibetaufstand von 1959
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Der Tibetaufstand von 1959

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Martialisch ausgerüstete Polizeitruppen patrouillieren mit Schlagstöcken durch die Innenstadt Lhasas, haben die großen Klöster abgeriegelt und postieren sich an Kreuzungen und Plätzen vor dem Potala-Palast. Über tibetische Informanten dringen ebenso beklemmende Schilderungen aus der zweitgrößten Stadt Tibets, Shigazi, nach außen.

Peking demonstriert mit massiver Aufstockung von Polizei und Militär seine Kontrolle des Hochplateaus gegen innere wie äußere Feinde. "Wir haben unsere Grenztruppen verstärkt und die Kontrollen verschärft, um Sabotageakte der Dalai-Lama-Clique zu verhindern”, zitierte Xinhua gestern den für Grenzsicherheit zuständigen politischen Kommissar Fu Hongzu. Am stärksten bewacht wird Tibets Grenze zu Nepal -­ neben Indien, Bhutan und Birma. Diese Botschaft soll das Ausland erfahren.

Doch trotz aller Sicherheitsvorkehrungen wurden gestern bei einer Bombenexplosion in der auch von Tibetern bewohnten Provinz Qinghai zwei Polizeiautos beschädigt, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Von eventuellen Opfern war nicht die Rede.

Unruhen werden sich nicht wiederholen

Seit Anfang März haben Tibets Behörden jeden Zugang für Korrespondenten und Touristen gesperrt: Ausländer als Zeugen sind unerwünscht. Die Machtpräsenz, so der regionale Parlamentschef Legqog, richte sich "gegen Störmanöver von Dalai-Lama-Anhängern und westlichen Pro-Tibet-Unabhängigkeitsgruppen”. Tibets Regierungspräsident Quangba Puncog schloss dennoch einzelne Proteste nicht aus. Vorfälle, bei denen "drei bis fünf Leute auf die Straße gehen und Parolen rufen, sind möglich”, sagte er. "Aber Unruhen wie letztes Jahr werden sich nicht wiederholen. Wir haben Vorsorge getroffen.”

Gleich zwei Daten machen die Behörden so nervös: Heute wird weltweit des 50. Jahrestages des tibetischen Aufstandes gedacht, der am 10. März 1959 in Lhasa begann und in dessen Folge der Dalai Lama am 17. März nach Indien fliehen musste. Am kommenden Samstag jähren sich zugleich die 2008 eskalierten anti-chinesischen Unruhen. Sie führten zu Ausschreitungen mit Toten, Hunderten von Verletzten, Brandstiftungen an Häusern und mehr als 1000 geplünderten Läden. Sie gehörten meist Chinesen.

Alarmiert ist auch der Dalai Lama. Er rief vom indischen Exil seine Landsleute auf, sich nicht wieder zur Gewalt hinreißen zu lassen. Er sorge sich zutiefst, sagte er, weil unter jungen Tibetern die "Wut auf China wächst” ­ wie auf der chinesischen Seite die Angst vor Übergriffen frustrierter Tibeter. "Viele chinesische Bürger haben sich Waffen zugelegt. Es kann jederzeit einer Gewaltexplosion kommen.”

Chinas Öffentlichkeit erfährt nichts

Von solchen Aufrufen des Dalai Lama zur Gewaltlosigkeit erfährt Chinas Öffentlichkeit nichts. Sie stören nur Pekings Pläne, ihn als den "Schuldigen” ihrer in Wirklichkeit hausgemachten Probleme mit Tibet darzustellen. Chinas Behörden gehen gegen ihn seit Ende Februar verschärft mit einer landesweiten Denunziationskampagne vor: In Medien, täglichen Fernsehfilmen und politischen Theateraufführungen ist er der Erzfeind. Immer schon sei der Dalai Lama die Inkarnation des Bösen gewesen, heißt es. Er habe bis zu seiner Flucht 1959 ins Exil "mit seinen Lamas als grausamer Feudaldespot über Tibet geherrscht” und wolle dieses "Sklavenhaltersystem” nun wieder einführen.

Eine tendenziöse Groß-Ausstellung im Pekinger Minderheitenpalast zu "50 Jahren demokratischer Reform” in Tibet wurde so schnell zusammengestellt, dass englische und chinesische Untertexte nicht übereinstimmen und viele Informationen der offiziellen Linie widersprechen. So finden sich in der auf drei Hallen verteilten Ausstellung verstreute Hinweise, die ganz gegen den Willen Pekings nur einen Schluss zulassen: Die Rebellion 1959 war ein echter Volksaufstand.

Vorwurf auf Vorwurf

90.000 Tibeter waren an ihr beteiligt, heißt es an einer Stelle, ebenso wie 1486 der 2676 Klöster. Oder: Im Januar 1961 gab es in Tibet nur noch 553 Klöster. Wohl aus Versehen blieb bei der Darstellung des 30-stündigen Kampfs um Lhasa, als 1000 chinesische Elitesoldaten die Rebellen niederkämpften, in der englischen Unterschrift die Zahl der getöteten Aufständischen stehen: 545 starben, 4815 wurden verwundet und verhaftet. Lhasa hatte damals nur 20.000 Einwohner.

Chinas Führer fahren in der sich verhärtenden Tibet-Frage Vorwurf auf Vorwurf auf. Außenminister Yang Jiechi warf dem Dalai Lama vor, ein unabhängiges "Groß-Tibet” errichten zu wollen. Es sei so groß wie ein "Viertel der chinesischen Landmasse”. Europäische Führer wie die von Deutschland und Frankreich hätten den Dalai Lama durch ihre Treffen unterstützt. Minister Jiechi mahnte Deutschland eindringlich, nicht zu vergessen, dass China einst die deutsche Wiedervereinigung unterstützt habe. Eine chinesische Zeitung prangerte gestern die Absicht von fast 1000 Städten, Gemeinden und Kreisen in ganz Deutschland an, heute auf ihren Rathäusern und Ämtern die Flagge Tibets zu hissen.

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