Milosevic' Tod Del Ponte schließt Selbstmord nicht aus

Belgrad (rpo). Nach dem Tod von Slobodan Milosevic hat das UN-Kriegsverbrechertribunal eine Obduktion angeordnet. Um die Todesursache des serbischen Expräsidenten rankten sich inzwischen Spekulationen, die von Selbstmord bis zu einer Vergiftung reichten. UN-Chefanklägerin Carla del Ponte sprach von Gerüchten, schloss Suizid aber nicht grundsätzlich aus.

Milosevic - geliebter Staatschef, Massenmörder, Märtyrer
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Foto: AFP

Das Ergebnis der Autopsie des herzkranken 64-Jährigen wurde für Sonntagabend oder Montagmorgen erwartet. Während der serbische Sozialist Milorad Vucelic nach einem Telefonat mit Milosevic am Freitagabend sagte, es sei klar gewesen, "dass er sehr krank war", schürte Milosevics Rechtsbeistand Zdenko Tomanovic Spekulationen über eine unnatürliche Todesursache.

Der Belgrader Anwalt präsentierte einen auf den 10. März datierten, sechsseitigen Brief Milosevics an die russische Botschaft. Darin heiße es, bei einer Untersuchung im Januar seien in seinem Blut Spuren eines starken Medikaments gegen Tuberkulose oder Lepra entdeckt worden. Eine solche Arznei habe er wissentlich nie genommen.

Milosevic sei ernsthaft besorgt gewesen, erklärte Tomanovic weiter. "Sie würden mich gerne vergiften", habe er ihm gesagt. Personen, gegen die er sein Land verteidigt habe, hätten ein Interesse daran, ihn zum Schweigen zu bringen, heißt es den Angaben zufolge in dem Brief weiter. Tomanovic kritisierte, dass das UN-Tribunal die Bitte der Familie abgeschlagen habe, die Leiche außerhalb der Niederlande zu obduzieren.

Anklägerin del Ponte sagte, es könne nichts ausgeschlossen werden, bis das Ergebnis der Obduktion vorliege: "Sie haben die Wahl zwischen normalen, natürlichem Tod und Selbstmord." Zu den Spekulationen über eine angebliche Vergiftung, die auch bei Milosevics Anhängern in Belgrad kursierten, nahm sie keine Stellung.

Die Familie wiederum warf dem UN-Tribunal eine Mitschuld am Tod des seit 2001 inhaftierten Milosevic vor, weil es ihm eine Behandlung in einer Moskauer Herzklinik verweigert habe. Sein Bruder Borislav sagte in Moskau, die Familie habe kein Vertrauen in das Gericht, eine objektive Autopsie vorzunehmen.

Der Präsident des Haager Tribunals, Fausto Pocar, erklärte, er habe die Obduktion und eine toxikologische Untersuchung angeordnet, weil ein niederländischer Gerichtsmediziner die Todesursache am Samstag nicht habe feststellen können. Ein serbischer Pathologe sollte die Untersuchung der Leiche am Gerichtsmedizinischen Institut der Niederlande beobachten.

Der Prozess gegen Milosevic begann Februar 2002 und musste wegen seines schlechten Gesundheitszustandes mehrfach unterbrochen werden. Er wurde 1999 als erstes amtierendes Staatsoberhaupt wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag angeklagt, später wurde die Anklage um Völkermord erweitert.

Im Herbst 2000 wurde er als serbischer Präsident abgewählt und im Juni 2001 auf internationalen Druck hin ausgeliefert. Ihm wurden 66 Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo in den 90er Jahren zur Last gelegt.

Del Ponte dringt auf Auslieferung von Karadzic und Mladic

Del Ponte sagte, Milosevics Tod mache die Festnahme und Auslieferung des bosnisch-serbischen Führers Radovan Karadzic und des Exgenerals Ratko Mladic umso dringlicher. Die Prozesse gegen acht Angeklagte wegen des Massakers von Srebrenica 1995 würden dazu beitragen, auch die Rolle Milosevics zu beleuchten.

Der kroatische Staatspräsident Stipe Mesic sagte: "Es ist bedauerlich, dass er nicht bis zum Ende des Prozesses lebte, um die Strafe zu bekommen, die er verdiente." Der Präsident von Serbien-Montenegro, Svetozar Marovic, bedauerte, mit Milosevics Tod werde der Geschichte "die volle Wahrheit vorenthalten". NATO-Generalsekretär nannte seinen Tod "in vielerlei Hinsicht unzufriedenstellend, angesichts der vielen Opfer auf dem Balkan".

Seine Anhänger in Serbien reagierten empört auf die Nachricht von seinem Tod. "Milosevic ist nicht in Den Haag gestorben, er wurde in Den Haag getötet", erklärte Ivica Dacic von Milosevics Sozialistischer Partei in Serbien. Der Ultranationalist Vojislav Seselj sprach von "brutalem Mord". Der Vorsitzende der russischen Kommunisten, Gennadi Sjuganow, erklärte, der Tod des Angeklagten komme dem Tribunal gerade recht.

Die russische Regierung kritisierte die Entscheidung des UN-Tribunals, Milosevic nicht zur medizinischen Behandlung nach Moskau reisen zu lassen. Seine gesundheitlichen Probleme seien bekannt gewesen, erklärte das Außenministerium.

(ap)
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