Politische Verwerfungen in Ägypten Das Militär greift nach neuen alten Vollmachten

Kairo · Dicke, schwarze Sonnenbrille, überragt von der Schirmkappe der Generalsuniform, Dutzende Orden auf der Brust: in den Fernsehbildern sieht Abdel Fattah al-Sisi, der Kommandeur der ägyptischen Streitkräfte, ganz aus wie ein klassischer Junta-General.

 Abdel Fattah al-Sisi erhofft sich vom Volk ein Mandat.

Abdel Fattah al-Sisi erhofft sich vom Volk ein Mandat.

Foto: dpa, Khaled Elfiqi

Die Rede, die er am Mittwoch vor Absolventen der Militärakademie in Kairo hält, könnte ihn bald zu einem machen: "An diesem Freitag müssen alle ehrenwerten Ägypter auf die Straße gehen, um mir das Mandat und die Vollmacht zu geben, Gewalt und Terrorismus zu beenden."

Al-Sisi, zugleich auch Verteidigungsminister und erster stellvertretender Ministerpräsident der Übergangsregierung, hütete sich davor, das Wort "Notstand" auszusprechen. Doch für Beobachter war klar: seine Forderung nach einem "Mandat" und "Vollmachten" werden darauf hinauslaufen, dass sich die Armee wieder zum Eingreifen ins unmittelbare Tagesgeschehen ermächtigen wird.

Vor seinem Aufstieg zum Armeekommandeur vor knapp einem Jahr leitete Al-Sisi den Militärgeheimdienst. Er gilt als geschickter Taktiker. Am 3. Juli entmachtete er jenen Präsidenten, der ihn seinerzeit an die Spitze der Streitkräfte berufen hatte. Zuvor hatten Millionen Ägypter gegen die Herrschaft des Islamisten Mohammed Mursi und die autoritären Auswüchse demonstriert. Aufgerufen hatte dazu eine neue, angeblich völlig spontan entstandene Jugendbewegung mit dem Namen Tamarud (Rebellion). Al-Sisi, so schien es, konnte sich auf den "Volkswillen" berufen und auf die Notwendigkeit, das Land durch den Präsidentensturz zu stabilisieren.

Genau drei Wochen später ist jedoch Ägypten instabiler als zuvor. Die Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Mursi kommt, fand sich mit dem "Putsch", wie sie es nennt, nie ab. Fast täglich demonstrieren ihre Anhänger, wenn auch nicht in Millionenzahl, so doch manchmal zu Hunderttausenden. Immer wieder kommt es zu tödlicher Gewalt. Meist - wenn auch nicht immer - werden die Muslimbrüder angegriffen. Anfangs waren es die Sicherheitskräfte, zuletzt aber bewaffnete Banden.

Diese Mobs aus dem kriminellen Milieu waren schon in der Zeit des 2011 gestürzten Machthabers Husni Mubarak von den Geheimdiensten dafür bezahlt worden, um politische Gegner zu terrorisieren. Seit Mursis Sturz kamen fast 200 Menschen ums Leben, weit mehr als davor, als das Militär sein Eingreifen just mit der zunehmenden Gewalt rechtfertigte.

Jetzt soll die Gewalt, die infolge des Umsturzes aufkam, weitere Vollmachten für das Militär rechtfertigen. Für Ägypten ist das nichts Neues. In den ersten anderthalb Jahren nach dem Sturz Mubaraks regierte formell das Oberkommando der Armee, dem auch Al-Sisi angehörte. Die Militärpolizei konnte nach Belieben Menschen verhaften. Misshandlungen und Folter waren üblich. Zivilisten wurden von Militärgerichten abgeurteilt.

Noch ist nicht klar, ob sich das Militär das volle Arsenal dieser Vollmachten zurückholen will. Letztlich hat diese Art des Herrschens dem Ansehen des Militärs damals schwer geschadet, ein Umstand, dessen sich Al-Sisi bewusst ist. Zugleich hat aber auch die inkompetente, arrogante und in Ansätzen autoritäre Regierungsweise Mursis in vielen Ägyptern die Bereitschaft erzeugt, über die Exzesse des Militärs den Schleier des Vergessens zu breiten.

Deshalb appelliert Al-Sisi jetzt direkt an das "Volk", ohne den Umweg über die Tamarud-Bewegung. Diese schickte am Mittwoch eine Loyalitätserklärung hinterher, in der sie unterstrich, wie "glücklich" sie ist, dass das Militär endlich gegen Gewalt und Terror vorgeht. Al-Sisi versuchte wiederum, eventuell aufkeimende ungute Erinnerungen an die jüngste Militärherrschaft wegzureden. "Die Armee ist wie eine Löwin", sagte er in seiner Rede. "Die Löwin wird nie ihre eigenen Jungen auffressen."

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort