Deutsche führen neue "Speerspitze" Das ist die Anti-Putin-Truppe der Nato

Münster · Soldaten aus dem westfälischen Münster führen seit Mittwoch die Nato Response Force. Diese Eingreiftruppe soll einen Eliteverband erhalten, der zum Schutz der Nordostflanke des Bündnisses binnen Stunden einsatzfähig ist.

Deutsch-Niederländisches Korps führt Eingreiftruppe
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Der russische Präsident Wladimir Putin persönlich gab den letzten Anstoß für die Gründung der neuen "Nato-Speerspitze", einer besonders schnellen Eingreiftruppe der nordatlantischen Verteidigungsallianz mit 5000 bis 7000 Soldaten. Putin hatte nämlich im Herbst vergangenen Jahres im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt gedroht, seine Truppen könnten binnen zwei Wochen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stehen.

Das löste Panik in den kleinen Nato-Ländern Estland, Lettland und Litauen aus. Denn Moskau hat sich vorbehalten, in den Ex-Sowjetrepubliken bei Bedarf militärisch einzugreifen. Grundlagen dafür sind das Gesetz zur Verteidigung der russischen Föderation (1992) und die Militärdoktrin des nahen Auslands (1993).

Umgerechnet auf ihre Größe wäre ein erfolgreicher Überfall auf die baltischen Staaten nur eine Frage von Tagen, oder gar, wenn Putin wie bei der Annexion der Halbinsel Krim zunächst verdeckte Kräfte wie Rockerbanden und Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ansetzen würde, eine von nur wenigen Stunden. Die Nato besitzt aber seit Ende des Kalten Krieges keine Kampfverbände mehr, die - nach einer Entscheidung auf politischer Ebene in Brüssel — derart schnell zur Hilfe eilen könnten.

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"Gemeinsame Kampfgruppe von sehr hohem Bereitschaftsgrad"

Zwar gibt es seit 2003 die Nato Response Force (NRF Land), deren Führung am Mittwoch dem Deutsch-Niederländischen Korps in Münster übertragen wurde. Aber sie sei zu groß und damit zu unbeweglich, lautet die Kritik. Deshalb beschlossen die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen im September in Wales den "Plan für eine erhöhte Einsatzbereitschaft". Dessen Grundgedanke: Eine Abschreckung ist nur dann glaubwürdig, wenn schon bei den ersten Anzeichen für eine Aggression möglichst viele Mitgliedstaaten dem bedrohten Land vor Ort militärisch zur Seite stehen. Deshalb sieht der Nato-Plan die Aufstellung eines kompakteren Verbandes innerhalb der NRF mit dem komplizierten Namen "Very High Readiness Joint Task Force" (VJTF) vor, übersetzt etwa "gemeinsame Kampfgruppe von sehr hohem Bereitschaftsgrad".

Die Rahmenbedingungen für diese Elitetruppe sind ähnlich kompliziert wie ihre Bezeichnung: Die Nato hatte nach Ende des Kalten Krieges Russland vertraglich zugesichert, keine Kampfverbände dauerhaft in den neuen Bündnisstaaten im Osten zu stationieren. Lediglich vorübergehende Aufenthalte sind demnach erlaubt; wechselnde Kräfte größer als in Brigadestärke (5000 bis 6000 Soldaten) dürfen nicht gleichzeitig dort sein. Daran will sich das nordatlantische Bündnis weiter halten, obwohl Russland — unter anderem mit der Annexion der Krim — neuerdings internationale Abkommen unterläuft.

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So bleiben die Bataillone der neuen Eingreiftruppe in ihren jeweiligen Ländern stationiert und müssen durch Flugzeuge und Hubschrauber reaktionsschnell gemacht werden. Doch wie könnte zum Beispiel das zur NRF gehörende und in Marienberg (Sachsen) stationierte Panzergrenadierbataillon 371, dessen Kommandeur Oberstleutnant Stephan Behrenz am Mittwoch ebenfalls zur Kommandoübergabe nach Münster gekommen war, seine je 38,5 Tonnen schweren 44 "Marder"-Schützenpanzer rechtzeitig ins Baltikum schaffen?

Die Nato denkt an ein System, wie es im Kalten Krieg in Europa bei den amerikanischen Verstärkungstruppen der Fall war: Damals lagerten Waffensysteme und Ausrüstung der US-Panzerverbände bereits in Depots in Deutschland; die Soldaten sollten im Alarmfall schnell aus Texas eingeflogen werden.

Die Sorge der baltischen Staaten

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Dieses System mit Waffen- und Munitionslagern und eventuell auch Führungsbunkern nahe der russischen Grenze könnte indes den Kreml zu sehr reizen. So ist zunächst vorsichtig von "möglichen Tanklagern und Sanitätseinrichtungen" die Rede. Der neue Turbo-Kampfverband soll im Januar 2016 einsatzbereit sein, fordert die Nato. Polen und den baltischen Staaten geht das nicht schnell genug: Letztere sind tief besorgt, dass die russische Armee nach dem Muster von Georgien, Moldau und der Ukraine auch sie angreifen könnte, weil angeblich russische Bürger in Gefahr sind. Ansätze dafür gibt es: 325.000 der 1,3 Millionen Einwohner Estlands sind russischer Abstammung; in Lettland ist eine russlandnahe Partei zur stärksten Partei gewählt worden.

Auch andere Nato-Staaten wie Norwegen, das 2016 sogar die allgemeine Wehrpflicht auf Frauen ausdehnt, fühlen sich durch Moskaus Expansionspolitik zunehmend bedroht; neutrale Nachbarländer rüsten ebenfalls aus Angst vor Putin auf. So kaufte Finnland 100 "Leopard"-Panzer von den Niederlanden und arbeitet wie Schweden militärisch immer enger mit der Nato zusammen.

Für das nordatlantische Bündnis gilt es die schwierige Balance zu halten, dass sich die Bevölkerung in den östlichen und nördlichen Mitgliedsländern geschützt fühlen darf, aber Präsident Putin nicht behaupten kann, dass er bedroht werde und damit einen Anlass zu weiterem Säbelrasseln findet. So macht das Bündnis auch mit dem Umfang der neuen "Speerspitze" VJTF von maximal 7000 Soldaten deutlich, dass es keine Bedrohung Russlands beabsichtigt. Putins Truppen entlang der ukrainischen und der Nato-Ostgrenze dürften mindestens zehnfach überlegen sein.

Die Kommandoübergabe am Mittwoch in Münster war ein wichtiger Schritt in Richtung der neuen Nato-Linie. "Abhängig von den Entscheidungen unserer politischen und militärischen Führung" werde das Deutsch-Niederländische Korps alles tun, damit die Testphase für das endgültige Konzept ein Erfolg werde, sagte der Befehlshaber, der deutsche Generalleutnant Volker Halbauer. Unter anderem bei Manövern werde man testen, wie genau der Kampfverband aussehen muss. Die "Zwischenlösung" einer deutsch-norwegisch-niederländischen Brigade habe sich bereits bewährt.

(RP)
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