UN-Chemiewaffeninspekteure verlassen Syrien Das bange Warten auf den Angriff

Istanbul/Beirut · Die letzten UN-Chemiewaffenexperten haben Syrien verlassen. Beobachter rechnen nun mit einem baldigen Militärschlag gegen das Regime in Damaskus. Auch Anhänger des Machthabers flüchten.

US-Präsident Barack Obama will sich noch am Samstag öffentlich zum Syrien-Konflikt äußern. Der Präsident werde um 13.15 Uhr Ortszeit (19.15 Uhr MESZ) ein Statement im Rosengarten des Weißen Hauses abgeben, teilte sein Büro mit.

Nach der Abreise der UN-Chemiewaffenexperten greift in Syrien die Furcht vor einem Militärschlag gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad um sich.

Zahlreiche Flüchtlinge überquerten am Samstag die Grenze zum Libanon - unter ihnen auch viele Unterstützer der Regierung.

Schon in den frühen Morgenstunden bilden sich lange Schlangen am syrisch-libanesischen Grenzübergang Masnaa. Kurz nachdem die UN-Chemiewaffenexperten das Land in Richtung Beirut verlassen haben, wollen sich auch zahlreiche Syrer möglichst noch vor dem erwarteten Militärschlag in Sicherheit bringen. Unter ihnen sind auch Anhänger des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Sie wollen jedoch nur kurz im Ausland bleiben.

Eine von ihnen ist Rama Dschubeili, Mutter dreier Kinder. "Wir sind hier nur, weil wir mit einer Militärintervention rechnen. Es ist wie Urlaub für uns, danach werden wir wieder zurückkehren und unsere Regierung unterstützen", sagt sie der dpa.

Den USA gehe es bei dem möglichen Einsatz nur um eigene und israelische Interessen, betont sie zugleich. Washington hatte zuvor erklärt, dass es "klare und schlüssige" Beweise dafür gebe, dass das syrische Regime chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Der UN-Untersuchungsbericht wird aber frühestens in zehn Tagen erwartet.

In den meisten Fahrzeugen mit syrischen Nummernschildern sitzen Frauen und Kinder. Innerhalb von zwei Stunden zählte ein Grenzbeamter etwa 250 Menschen, die die Grenze überquert hätten. In den vergangenen zwei Tagen seien es gar rund 15 000 gewesen, sagt er. Die meisten seien aus den vom Regime kontrollierten Gebieten gekommen.

Auch Dina - die in einer Nobelkarosse in den Libanon fährt - plant, nicht lange dort zu bleiben. "Wir warten eine Woche und schauen, was passiert", sagt sie. "Falls es schlimmer wird, werden wir zu meinem Sohn reisen, der in Frankreich studiert."

Inspekteure in von Deutschland gechartertem Flugzeug

Die Arabische Liga zog unterdessen ein für Dienstag in Kairo geplantes Treffen der Außenminister auf diesen Sonntag vor. Die zwölf Inspekteure um Missionsleiter Åke Sellström waren am Samstagmorgen aus Damaskus abgereist.

Wenig später überquerten sie die Grenze zum Libanon und trafen am Flughafen der Hauptstadt Beirut ein. Dort wartete nach Angaben des Auswärtigen Amtes ein von der Bundesregierung gechartertes Flugzeug auf das UN-Team, um die Experten samt gesammelter Proben nach Europa zu bringen.

Solange sich die Delegation in Syrien aufhielt, galt eine Strafaktion für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz von Mitte vergangener Woche als unwahrscheinlich. Bei dem Angriff auf Vororte von Damaskus, für den die USA das syrische Regime verantwortlich machen, waren Hunderte syrische Zivilisten getötet worden.

Laut Vereinten Nationen ist unklar, wann der Untersuchungsbericht der Inspekteure veröffentlicht wird. Aus Diplomatenkreisen hieß es, es werde mindestens 10 bis 14 Tage dauern, bis die Ergebnisse vorliegen.

Einsatz von Bodentruppen in Syrien ausgeschlossen

Der russische Präsident Putin beschwor Obama, keine überhastete Entscheidung treffen. Vielmehr solle der US-Präsident überlegen, ob ein Militäreinsatz zum Ende der Gewalt in Syrien beitragen könnte und ob zivile Opfer gerechtfertigt wären, erklärte Putin. Putin erinnerte auch an die Folgen der US-Militärinterventionen in Afghanistan und Irak.

Obama, der sich in den USA einer kriegsmüden Bevölkerung gegenübersieht, hat einen Einsatz von Bodentruppen in Syrien bereits ausgeschlossen. Falls sich Obama für den Einsatz entscheidet, gilt ein Angriff mit Tomahawk-Raketen von US-Schiffen im Mittelmeer als wahrscheinlich. Über den Zeitpunkt wird spekuliert.

Die Anwesenheit der UN-Inspektoren galt als Hindernis, das nach ihrer Abreise am Samstag ausgeräumt war. Frankreichs Präsident François Hollande hatte erklärt, ein Angriff sei vor Mittwoch möglich. Dann könnte sich das Zeitfenster für einen Angriff womöglich wieder schließen, weil Obama an dem Tag über Schweden weiter zum G20-Gipfel in Russland reist, der am Donnerstag beginnt.

Russland legt Waffenlieferungen auf Eis

Russland hat umstrittene Waffenlieferungen an seinen Verbündeten Syrien Medienberichten zufolge gestoppt - angeblich, weil das Regime in Damaskus Rechnungen nicht bezahlt.

Nach dem Eingang der ersten Raten habe das Regime von Präsident Baschar al-Assad die Zahlungen unvermittelt ausgesetzt, sagte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des staatlichen Rüstungskonzerns Rosoboronexport der russischen Tageszeitung "Kommersant".

Die geplanten Lieferungen von zwölf Kampfjets vom Typ MiG-29M/M2 sowie insgesamt sechs hochmodernen Raketenabwehrsystem S-300 PMU-2 und 36 Trainingsflugzeugen Jak-130 seien auf Eis gelegt worden. Es gebe aber keinen politischen Hintergrund, sagte der Mitarbeiter. "Wir hoffen, dass die Verträge in vollem Umfang erfüllt werden können."

Verhandlungen mit einer syrischen Militärdelegation in Moskau seien aber erfolglos verlaufen, sagte er. Kremlberater Juri Uschakow habe die Probleme indirekt bestätigt, berichtete "Kommersant".

Die UN-Vetomacht Russland hatte die Lieferungen damit begründet, dass es kein bindendes Waffenembargo gegen Syrien gebe. Besonders die USA und Israel hatten vor allem den geplanten Export des Abwehrsystems S-300 PMU-2 scharf kritisiert.

Iraner in Dmaskus

Die kuwaitische Zeitung "Al-Kabas" berichtete am Samstag unter Berufung auf arabische Diplomaten, dass mit Militärschlägen spätestens an diesem Sonntag gerechnet werde. Nach der Abreise der Inspekteure gehe es nur noch um Stunden, schrieb das Blatt. Die Intervention werde von verschiedenen Stützpunkten aus gelenkt werden - unter anderem in der Türkei, Jordanien, Griechenland und Zypern, hieß es in dem Bericht.

Als Zeichen der Solidarität mit dem syrischen Regime reiste eine Delegation des iranischen Parlaments nach Damaskus. Wie die Nachrichtenagentur Isna meldete, handelt es sich um eine dreiköpfige Delegation des Auswärtigen Ausschusses. Die Iraner wollten während ihres fünftägigen Aufenthalts auch den syrischen Präsidenten treffen. Der Iran steht im Syrien-Konflikt auf der Seite Assads.

(dpa/AP)
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