Salzburg zieht die Notbremse „Wir brauchen jetzt einen kompletten Lockdown“

Salzburg · Das österreichische Bundesland meldet eine Inzidenz von 1719 und verhängt am Donnerstag einen Lockdown. Die Situation in den vollen Kliniken ist dramatisch. Die österreichische Regierung zieht am Freitag nach und kündigt einen Lockdown für das gesamte Land an.

 Auf der Intensivstation 1c der Salzburger Landeskliniken werden die Betten knapp. Ein sechsköpfiges Team bereitet die Triage vor.

Auf der Intensivstation 1c der Salzburger Landeskliniken werden die Betten knapp. Ein sechsköpfiges Team bereitet die Triage vor.

Foto: picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com/BARBARA GINDL

„Bis in den Oktober war es richtig nett“, sagt Harald Kratzer, „aber jetzt reißt es uns wieder alles weg.“ Der Geschäftsführer des Salzburger Traditionsrestaurants Sternbräu sitzt am Mittag in der fast leeren Lounge seines Hauses. 58 Weihnachtsfeiern waren gebucht, bislang sind 53 davon wieder storniert worden. Kratzer wünscht sich für Salzburg das, was einen Tag später verkündet wird: „Wir brauchen jetzt einen kompletten Lockdown.“ Nur so könnten die Corona-Infektionen gebremst werden, die in Teilen Österreichs derzeit durch die Decke gehen. Nur so wäre ein „irgendwie normaleres Weihnachten denkbar“, wie Kratzer es ausdrückt.

Angesichts der dramatischen Corona-Zahlen im gesamten Land wird es in Österreich ab der kommenden Woche einen Lockdown für alle geben. Außerdem werde ab Februar eine Impfpflicht eingeführt, teilte Bundeskanzler Alexander Schallenberg am Freitag mit.

Erst an diesem Montag hatte in Österreich eigentlich ein Lockdown für Ungeimpfte begonnen, die nur noch zum Einkaufen oder aus anderen wichtigen Gründen das Haus verlassen dürfen. Nun werden die Beschränkungen auf Geimpfte ausgeweitet. Außerdem sollen Kulturbetriebe, Gastronomie und Läden bis auf Supermärkte und Apotheken geschlossen werden, wie der Österreichische Rundfunk berichtete. Nach zehn Tagen soll die Lage neu bewertet werden.

Erst am Donnerstag kündigten die Bundesländer Salzburg und Oberösterreich einen Lockdown für alle an. Dieser hätte am Montag beginnen sollen und „mehrere Wochen“ andauern, sagte der oberösterreichische Landeshauptmann (Ministerpräsident) Thomas Stelzer. Er und sein Salzburger Kollege Wilfried Haslauer hatten sich lange dagegen gesperrt, ebenso wie Österreichs neuer Bundeskanzler Alexander Schallenberg (alle ÖVP). Laut Haslauer wird der Lockdown für die gesamte Bevölkerung und alle Bereiche gelten und „drei, eher vier Wochen dauern“ und abhängig von der Impfentwicklung sein. Demnach kann er womöglich vor Weihnachten enden. Auch die Schulen sind betroffen, sie müssen schließen.

Es ging offenkundig nicht mehr anders. In Salzburg ist die Sieben-Tage-Inzidenz der Infizierten pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche von knapp 1094 auf 1719 am Donnerstag in die Höhe geschnellt. Die Kliniken sind am Limit. Schon zum Beginn der Woche hatte Österreich neue Beschränkungen beschlossen: Die 2G-Regel – geimpft oder genesen – gilt in weiten Teilen des öffentlichen Lebens, ausgenommen sind nur Lebensmittelläden, Apotheken und ähnliches. Und für Ungeimpfte gilt eine Ausgangssperre: Sie dürfen die Wohnung nur für den Weg zur Arbeit, zum Lebensmitteleinkauf und zur Erholung an der frischen Luft verlassen.

„Die Leute können keine Kleidung kaufen, nicht ins Kino, nicht ins Café, das ist schon hart“, beschreibt Karl Schupfer, Pressesprecher der Stadt Salzburg, die Lage. Einen Satz sagt Schupfer immer wieder, fast flehend: „Wir geben nicht auf.“ Das Team aus 80 Mitarbeitern verfolgt die Kontakte der Infizierten nach, „da sind wir jetzt zwei Tage hinterher“. Sie kontrollieren die „Abgesonderten“, wie in Österreich Menschen in Quarantäne heißen. „Fast alle halten sich daran“, meint er.

In welchem Zustand befindet sich die Gesellschaft in Salzburg derzeit? „Der Stresspegel der Leute ist hoch“, sagt der Sprecher. „Viele reagieren auf Kleinigkeiten im Alltag übertrieben, sie werden immer aggressiver.“ Die nächsten zwei bis drei Wochen seien für die Entwicklung der Pandemie entscheidend. Die Politik müsse handeln, irgendwie. Aber: „Vermeintliche Gewissheiten sind plötzlich keine mehr.“ Und Schupfer sieht auch „die Angst, falsche Entscheidungen zu treffen“.

Das alles weist Parallelen zu Deutschland auf. Ist Österreich der Bundesrepublik zwei, drei Wochen voraus? Die Impfquote liegt mit deutlich unter 70 Prozent ähnlich niedrig, die Anzahl der hartnäckigen Impfgegner dürfte in etwa gleich groß sein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere Pandemie-Bekämpfer erlassen derzeit immer neue Regeln, die in Gänze kaum jemand noch versteht. Einschränkungen für Geimpfte und Genesene seien unverhältnismäßig, wird immer wieder betont. Genauso diskutierte die österreichische Politik das Thema auch bis vor Kurzem. „Die Planungen zur Triage in den Krankenhäusern schockieren die Leute richtig“, beobachtet Harald Kratzer vom Sternwirt. Triage – das ist die medizinische Katastrophe. Es ist die Entscheidung darüber, welche Intensivpatienten bei Knappheit ein benötigtes Bett bekommen und welche nicht. Oftmals ist es eine Entscheidung über Leben und Tod. Die Kliniken im Land Salzburg haben ein sechsköpfiges Team benannt, das dies bestimmt, wenn es notwendig ist. So etwas gab es noch nie.

Mit dem Problem der Triage befasst sich die Intensivmedizinerin Barbara Friesenecker aus Innsbruck schon lange. Entscheidend sei: „Wer hat die höchste Überlebenschance?“ Der bekommt das Bett, die anderen müssen auf die normale Station „und sterben dort häufig“. Es geht nicht um Dinge wie: Welcher Corona-Patient ist geimpft und welcher nicht? Und was macht man mit anderen Erkrankten etwa nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen? Auch ein Impfgegner könnte also gegebenenfalls den Vorrang erhalten.

In den Straßen und Gassen der Salzburger Altstadt ist es schon jetzt ungewöhnlich leer. In der Getreidegasse sind glitzernde Weihnachtsmänner und Engel ausgestellt, doch niemand ist in den Läden. Auf dem Residenzplatz ist ein Christkindlmarkt zur Hälfte aufgebaut, von dem niemand sagen kann, ob dort in diesem Jahr je ein Punsch oder eine Bratwurst verkauft werden.

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