Claudia Sheinbaum Mexikos erste Präsidentin lud schon einen König aus
Analyse · Claudia Sheinbaum wird erste Präsidentin Mexikos. Viele ihrer Positionen bergen Konfliktstoff mit den USA. Ein Wahlsieg von Kamala Harris allerdings böte Chancen, zumindest das Thema Migration endlich konstruktiv anzugehen.
Am liebsten hätte Donald Trump, dass die deutschen Autokonzerne ihre Fahrzeuge in den USA bauen. Wenn nicht, könnten Zölle die Fahrzeuge unbezahlbar für den amerikanischen Markt machen, drohte der Präsidentschaftskandidat vor wenigen Tagen. Gemeint sind dabei unter anderem die Exemplare, die in Mexiko gebaut werden. Zwar galt der Hauptfokus der Trumpschen Kritik den chinesischen Autobauern, die über Mexiko ihre Fahrzeuge auf den US-Markt bringen wollen, aber die Kritik richtet sich auch an andere Autobauer-Nationen, die wie die Deutschen in Mexiko stark vertreten sind: „Wenn ich nicht gewinne, wird es in zwei bis drei Jahren keine Autoindustrie mehr geben“, warnt Trump in seinem üblichen dramatischen Ton. Und in Richtung China: „Wenn die Chinesen ihre Autos in den USA verkaufen wollen, dann müssen sie die auch in den USA produzieren.“ Es ist ein Klassiker von Trumps „America First“-Politik, auch wenn das für die mexikanische Wirtschaft katastrophale Folgen hätte.
Am Dienstag, 1. Oktober, tritt mit Claudia Sheinbaum erstmals eine Frau das Präsidentenamt im südlichen Nachbarstaat der USA an. Sie gilt als linksnationalistisch, pragmatischer als ihr bisweilen populistischer Vorgänger Andrés Manuel López Obrador, vertritt in vielen Politikfeldern aber gegenteilige Meinungen zu Positionen in Washington. Mit großer Spannung wird nun auf beiden Seiten der Grenze ihre Antrittsrede erwartet, die mitten in die heiße Phase des US-Wahlkampfs fällt.
Ein nach mexikanischer Lesart antikolonialistisches Signal hat sie schon gesendet: Der spanische König Felipe VI., normalerweise als höchster Repräsentant Spaniens bei nahezu allen Amtseinführungen in Lateinamerika präsent, erhielt keine Einladung. Der Monarch habe nicht auf die Aufforderung reagiert, für die Eroberungsfeldzüge der Spanier um Entschuldigung zu bitten. Also ist er unerwünscht. Spaniens Ministerpräsident spricht von „extremer Traurigkeit“ über die Belastung der diplomatischen Beziehungen.
Sheinbaums Vorgänger, Mentor und Parteifreund López Obrador, der noch bis diesen Montag im Amt ist, entschied sich zu Beginn seiner Präsidentschaft, die noch in die Amtszeit Trumps fiel, für eine Art Unterwerfungskurs gegenüber Washington. Trump erinnerte jüngst bei einer Rede noch einmal daran, wie er Mexikos Regierung mit der Androhung von Strafzöllen auf seine Linie gezwungen habe: „Ich habe gewonnen. Ich habe alles von Mexiko bekommen.“ Obwohl ideologisch in komplett anderen politischen Gewässern unterwegs, entschieden Trump und López Obrador, sich fortan gegenseitig zu loben. Die Machtverhältnisse waren geklärt.
Damals ging es allerdings nicht um die Autoindustrie, sondern um die Migrationspolitik. Und die dürfte in Zukunft wieder ein Schlüssel für das Binnenverhältnis beider Staaten sein. Die neue Präsidentin gilt als Sympathisantin der Linksdiktaturen Venezuela und Kuba, die in den letzten Jahren den größten Anteil der Migrationsbewegung Richtung Südgrenze der USA verursachten. Das könnte Trump bei einem Wahlsieg zum Anlass nehmen, Mexiko eine Mitverantwortung für den Massenexodus zuzuschreiben und die Grenzen endgültig dichtzumachen.
„Wenn Kamala Harris die Präsidentschaft gewinnt, wäre sie in der Kombination mit Sheinbaum für das Thema Migration vielleicht besser als die zwei alten Männer“, glaubt der amerikanische Geistliche Patricio Murphy, der in der Grenzstadt Tijuana eine Unterkunft für Migranten betreut. Dann wären in den beiden Nachbarländern nicht nur erstmals zwei Frauen an der Macht. Sie hätten trotz aller unterschiedlicher nationaler Interessen auch einige gemeinsame politische Grundüberzeugungen, die Verhandlungen einfacher und zielgerichteter machen könnten.
Sheinbaum forderte in ihrem eigenen Wahlkampf mehr Unterstützung und Investitionen aus den Vereinigten Staaten für jene Länder in Zentralamerika, aus denen die Migration in Richtung USA stattfinde: „Das wird viel billiger als der Bau einer Mauer, als Zäune.“ Und es werde auch viel billiger sein als jede andere Form von Grenzpatrouillen, denn es gehe das grundlegende Problem an, sagt Sheinbaum. Wenn aber Trump nun sogar Betriebe aus Mexiko abwerben will, wäre dies das genaue Gegenteil.
Von den Republikanern kommen seit Wochen scharfe Angriffe. Auch Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance zog die antimexikanische Karte und warf dem „Berufspolitiker Biden“ vor, sich einst für das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta eingesetzt zu haben, ein laut Vance „für Amerika schlechtes Handelsabkommen“. Das habe dazu geführt, dass „gute amerikanische Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe nach Mexiko“ abgewandert seien. Es folgte das von Trump ausgehandelte Abkommen T-Mec.
Ein anderes Streitthema ist der Drogen- und Waffenhandel. López Obrador machte vergangene Woche die Vereinigten Staaten für die Gewaltausbrüche in Mexiko verantwortlich. Angetreten war er mit dem Versprechen, die Sicherheitspolitik ganz neu auszurichten. Heraus kam mit 170.000 Toten eine neue negative Höchstmarke. Mexiko macht dafür aus dem Norden geschmuggelte Waffen verantwortlich. Die USA sehen wiederum die mexikanische Regierung als verantwortlich für die immer weiter wachsende Macht der Drogenmafia. Nicht wenige in Washington werfen dem Nachbarn vor, den Kampf aufgegeben zu haben. Auf Kosten der USA.