Pulverfass Nahost Iran steigt komplett aus Atomabkommen aus

Bagdad · Am Sonntagabend sollen nahe der US-Botschaft in der hochgesicherten Grünen Zone in Bagdad mindestens zwei Raketen eingeschlagen sein. Zuvor hatte der Iran am Abend angekündigt, komplett aus dem Atomabkommen aussteigen zu wollen. Die Ereignisse des Tages im Überblick.

 Iranische Abgeordnete rufen im Parlament in Teheran „Tod für Amerika“.

Iranische Abgeordnete rufen im Parlament in Teheran „Tod für Amerika“.

Foto: AFP/HO

Der Iran sieht sich dem Wiener Atomabkommen von 2015 künftig nicht mehr verpflichtet. Teheran werde nun sein Atomprogramm unbegrenzt weiterführen und auch Uran unlimitiert anreichern, gab die iranische Regierung nach Angaben der Nachrichtenagentur Irna am Sonntagabend in einer Presseerklärung bekannt.

Wenige Stunden zuvor noch hatte der Sprecher des Außenministeriums in Teheran, Abbas Mussawi, lediglich einen weiteren Schritt im Teilausstieg des Landes aus dem internationalen Abkommen angekündigt. „Wir werden diesbezüglich am Abend eine wichtige Sitzung haben und über die fünfte Phase des Teilausstiegs entscheiden“, zitierte die Nachrichtenagentur Isna den Sprecher am Nachmittag.

Beobachter in Teheran schlossen zu diesem Zeitpunkt nicht aus, dass die Regierung mit einer weiteren Erhöhung der Urananreicherung auf 20 Prozent auf die Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch die US-Armee reagieren könnte. Der Iran hatte den USA „Rache“ für die Tötung des Generals geschworen. In der Region geht die Angst vor einer weiteren Eskalation der Lage und kriegerischen Auseinandersetzungen um.

Die USA hatten den Vertrag im Mai 2018 einseitig aufgekündigt und danach wieder scharfe Sanktionen gegen Teheran verhängt. Vor allem die Sanktionen gegen den Erdgas- und Ölsektor lösten eine schwere Wirtschaftskrise im Iran aus.

Trotz der Sanktionen hatte sich das Land aber ein Jahr weiter an das Atomabkommen gehalten, während die Europäer weitgehend vergeblich versuchten, den im Abkommen versprochenen Handel trotz der US-Sanktionen aufrecht zu erhalten. Im Mai vergangenen Jahres begann Teheran dann allerdings, schrittweise gegen Auflagen des Atomabkommens zu verstoßen. So reicherte es inzwischen mehr Uran auf höhere Konzentrationen an als im Abkommen erlaubt.

Am Abend haben Deutschland, Frankreich und Großbritannienangesichts der jüngsten Eskalation zwischen dem Iran und den USA „insbesondere“ Teheran zur Zurückhaltung aufgefordert. Darüber sei sich Kanzlerin Angela Merkel in Telefonaten mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premier Boris Johnson einig gewesen, teilte ein deutscher Regierungssprecher am Sonntagabend mit.

Nun sei Deeskalation dringlich. Außerdem seien sich die Gesprächspartner einig gewesen, dass die Souveränität und die Sicherheit des Iraks geschützt werden müssten. Merkel habe in den Telefonaten mit Macron und Johnson verabredet, „sich gemeinsam nach Kräften für eine Reduzierung der Spannungen in der Region einzusetzen“.

Wegen der zunehmenden Spannungen im Nahen Osten beruft Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg für Montag kurzfristig eine "dringende" Sitzung des Nordatlantikrats ein. Bei dem Treffen auf der Ebene der Botschafter solle es um die Einschätzung der Lage im Nahen Osten nach der Tötung Soleimanis gehen.

Am Sonntagabend sollen Augenzeugen zufolge mindestens zwei Raketen nahe der US-Botschaft in der hochgesicherten Grünen Zone in Bagdad eingeschlagen sein. Aus Polizeikreisen verlautete, dass drei Katjuscha-Raketen niedergegangen seien. Die Angriffe erfolgten mehrere Stunden nach Ablauf eines Ultimatums einer pro-iranischen Gruppe, wonach sich irakische Soldaten von US-Truppen entfernen sollten. Angriffe waren damit befürchtet worden.

Am Nachmittag war die irakische Parlamentsresolution zum Abzug der US-Truppen aus dem Irak dem populistischen Schiiten-Geistlichen Moktada al-Sadr nicht weit genug gegangen. Der Chef der größten Gruppe im Parlament ist hingegen für die Bildung von "Heerscharen internationalen Widerstands". Zudem fordert er in einem Schreiben an das Parlament die Schließung der US-Botschaft in Bagdad. Die US-Truppen müssten zudem in erniedrigender Weise des Landes verwiesen werden. Im Land sind aktuell rund 5200 US-Soldaten stationiert.

Zudem legte die irakische Regierung eine Beschwerde beim UN-Sicherheitsrat wegen des US-Angriffs in Bagdad ein. Die Beschwerde richte sich gegen die "amerikanischen Angriffe auf irakische Stützpunkte" sowie die "Ermordung von irakischen und befreundeten Militärführern", teilte das Außenministerium in Bagdad mit. In zwei Briefen forderte die irakische Regierung die Vereinten Nationen auf, die Tötung des iranischen Top-Generals Kassem Soleimani und des irakischen Milizenführers Abu Mehdi al-Muhandis zu verurteilen.

Die Bundeswehr hält derweil daran fest, trotz der angespannten Lage rund 60 Soldaten aus Mecklenburg-Vorpommern in den Nordirak zu verlegen. Die Situation werden ständig überprüft, die Sicherheit der Soldaten habe oberste Priorität, sagte Oberstleutnant Simon Hofmann vom Einsatzführungskommando am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Potsdam. Nach dem derzeitigen Stand werde es aber bei der planmäßigen Verlegung bleiben, bekräftigte er. Die Soldaten aus Mecklenburg-Vorpommern sind den Angaben zufolge nicht nur in Erbil stationiert, sondern auch im Militärkomplex Tadschi, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad.

Die Bundesregierung macht derweil den weiteren Einsatz der Bundeswehr im Irak von der Zustimmung der irakischen Regierung abhängig. "Wir beobachten die Situation im Irak mit großer Aufmerksamkeit. Noch wissen wir nur sehr wenig. Fest steht jedoch: Deutsche Soldaten können nur dann im Irak bleiben, wenn die irakische Regierung sagt, dass sie das weiterhin will", sagte ein Sprecher von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" laut Vorabbericht.

Am Sonntagabend hat Teheran den deutschen Geschäftsträger einbestellt. Grund seien "inakzeptable" Äußerungen "bestimmter deutscher Vertreter" zum Tod Soleimanis, teilte das iranische Außenministerium mit. Dem deutschen Geschäftsträger sei in einem Gespräch der "vehemente Protest" Teherans verdeutlicht worden.

Zwei Tage zuvor hatten die USA bei einem Luftangriff am Bagdader Flughafen den iranischen General und den Vize-Kommandeur der schiitischen Volksmobilisierungskräfte im Irak, Abu Mahdi al-Muhandis, getötet.

Unterdessen droht Hisbollah-Führer Sajjed Hassan Nasrallah den USA mit Bombenattentaten. Selbstmordattentäter, die in der Vergangenheit die USA zum Rückzug aus der Region gezwungen hätten, seien noch immer vor Ort. Zudem gebe viel mehr von ihnen. Die gezielte Tötung Soleimanis ist nach den Worten Nasrallahs nicht nur eine Angelegenheit des Irans. Dies sei eine Angelegenheit der gesamten "Achse des Widerstandes". Ziel der Vergeltung sei die US-Präsenz in der Region, sagt Nasrallah und nennt Kriegsschiffe, Militärstützpunkte und "jeden US-Soldaten". Amerikanische Zivilisten sollten nicht angegriffen werden. Mit der sogenannten Achse des Widerstandes bezieht sich Nasrallah auf schiitische Milizen in der Region, also vom Libanon über den Irak bis hin zum Jemen.

Nach der Drohung von US-Präsident Donald Trump gegen kulturelle Ziele im Iran hat US-Außenminister Mike Pompeo Vorwürfe zurückgewiesen, wonach die USA Kriegsverbrechen planten. Jegliche Militärschläge gegen den Iran würden „gesetzeskonform“ sein, erklärte Pompeo am Sonntag im Gespräch mit dem Fernsehsender ABC. Auf die Frage, ob Trumps Drohung nicht in direktem Widerspruch zu den Genfer Konventionen stehe, wonach zivile Ziele geschützt seien, sagte Pompeo: „Wir werden innerhalb des Systems handeln“.

Trump hatte am Samstagabend mit Angriffen auf 52 iranische Ziele gedroht, darunter auch kulturell bedeutende Orte, falls Teheran sich wegen des Luftangriffs auf den iranischen General Ghassem Soleimani an US-Bürgern oder amerikanischen Einrichtungen rächen sollte. Pompeo wich Nachfragen aus, was genau Trump mit kulturell bedeutenden Zielen gemeint habe. Er habe die Planungen des Verteidigungsministeriums gesehen, sagte Pompeo. „Jedes Ziel, das wir angreifen, wird ein gesetzeskonformes Ziel sein“, so der Minister.

Derweil hat die von den USA angeführte internationale Militärkoalition im Irak angesichts der jüngsten Spannungen die Unterstützung des Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ausgesetzt. Das erklärte das Militärbündnis am Sonntag. Auch die Ausbildung der Partner pausiert werde wegen der wiederholten Raketenangriffe auf die Stützpunkte der Truppen im Irak. Man werde die Iraker weiter unterstützen und sei bereit, sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder ganz dem Kampf gegen den IS zu widmen, hieß es.

„Unsere oberste Priorität ist es, das Personal des Bündnisses zu schützen, dass sich dem Sieg über dem Islamischen Staat widmet“, hieß es. Die Mission konzentriere sich nun auf den Schutz der Stützpunkte, auf denen Koalitionstruppen untergebracht seien. Bereits am Samstag war die Aussetzung der Ausbildung von irakischen Sicherheitskräften bekanntgegeben worden.

Seit Ende des Jahres hatte es nach US-Angaben rund ein Dutzende Raketenangriffe einer vom Iran unterstützten schiitischen Miliz auf die Stützpunkte gegeben. Bei einem Angriff Ende Dezember kam ein US-Bürger ums Leben. Nach dem US-Luftangriff auf den iranischen General Ghassem Soleimani in Bagdad in der Nacht zum Freitag hat Teheran Rache geschworen. Experten befürchten, dass die rund 5000 US-Truppen im Irak zum Ziel von Vergeltungsschlägen werden könnten.

(felt/dpa/REU/AFP)
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