Vertrauenskrise Bulgariens oberste Korruptionsbekämpfer im Zwielicht

Sofia · Seit Monaten gibt es Proteste gegen den Generalstaatsanwalt und seinen Stellvertreter. Doch die Regierung will beide sogar noch befördern.

 In der bulgarischen Hauptstadt Sofia protestieren Demonstranten gegen die Wahl von Ivan Geschev zum Generalstaatsanwalt. 

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia protestieren Demonstranten gegen die Wahl von Ivan Geschev zum Generalstaatsanwalt. 

Foto: picture alliance / AA/Ihvan Radoykov

Männer mit etwas eigenartigen Auffassungen gab es in Bulgariens Justizapparat schon immer. „Über mir steht nur der Herr”, sagte etwa Generalstaatsanwalt Ivan Tatartschev, der in den 90er Jahren freundschaftliche Beziehungen zu einigen der berüchtigsten Banditen seiner Zeit pflegte und daraus keinen Hehl machte. Als oberster Chef der Anklagebehörde genoss er uneingeschränkte Immunität und war niemandem Rechenschaft schuldig.

Seit sieben Jahren bekleidet sein Nachfolger Sotir Tsatsarov das Amt. Doch nun wird er voraussichtlich für die kommenden sechs Jahre die Kommission zur Bekämpfung von Korruption und zum Einzug unrechtmäßig erworbenen Eigentums führen. Sein Stellvertreter Ivan Geschev, bisher Leiter der für organisierte Kriminalität zuständigen Sonderstaatsanwaltschaft, wird ihm ab Januar 2020 im Amt des Generalstaatsanwalts nachfolgen.

Die konservativ-nationalistische Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissov begrüßte die Personalien. Kritische Vertreter der Zivilgesellschaft ziehen dagegen seit Monaten protestierend durch die Straßen Sofias. Sie werfen Tsatsarov und Geschev nicht nur mangelnde Erfolge bei der Bekämpfung der Kriminalität vor, sondern beschuldigen sie gar der Rechtsbeugung zugunsten korrupter Politiker.

Die milliardenschwere Pleite der KTB-Bank im Juni 2014 gilt ihnen als Beweis dafür. Jahrelang hatte KTB-Chef Tsvetan Vassilev in offensichtlicher Kumpanei mit dem Medienunternehmer und Abgeordneten Deljan Peevski ein mächtiges Wirtschaftskonglomerat aufgebaut. Als sich die beiden Geschäftspartner aber zerstritten, stürzte die KTB zusammen wie ein Kartenhaus. In der vom Sonderstaatsanwalt Geschev vorgelegten, viele Tausend Seiten starken Anklageschrift zur KTB-Affäre wird aber allein Vassilev der Führung einer organisierten kriminellen Vereinigung zur Schröpfung der Bank beschuldigt.

„Warum taucht der Name Peevski in ihrer Anklageschrift nicht auf?”, fragten Journalisten Geschev. „Auch Putin und Obama kommen in ihr nicht vor”, gab der schnippisch zurück. So kann kaum verwundern, dass der künftige Generalstaatsanwalt Geschev in Peevskis Tageszeitungen und Wochenblättern sehr zuvorkommend behandelt wird. Die Herausgeber der wenigen verbliebenen seriösen Medien in Bulgarien sehen sich dagegen oft repressiven Maßnahmen der Staatsanwaltschaft ausgesetzt. So musste der Verleger des Wirtschaftsmagazins „Kapital“, Ivo Prokopiev, die Beschlagnahmung von Vermögenswerten in Höhe von knapp 100 Millionen Euro hinnehmen.

Während im Nachbarland Rumänien selbst Minister, Parteiführer und Parlamentarier zu Haftstrafen verurteilt wurden, herrscht in Bulgarien bei letztinstanzlichen Gerichtsurteilen gegen Funktionsträger in den höheren Etagen der Macht Fehlanzeige. Die Zahl öffentlicher Auftragsmorde während der krisenhaften Transformationsperiode vom autoritären Sozialismus zur demokratischen Marktwirtschaft seit 1989 wird auf über 200 geschätzt. Die Fälle rechtskräftig verurteilter Mörder und ihrer Hintermänner lassen sich dagegen an einer Hand abzählen.

Die seit Bulgariens EU-Beitritt im Jahr 2007 in regelmäßigen Abständen publizierten Evaluationsberichte zum Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität lobten in immer gleichen Sprachregelungen den politischen Willen des mit Unterbrechungen seit 2009 regierenden Ministerpräsidenten Borissov und beklagten gleichzeitig das Ausbleiben konkreter Resultate.

Aussagekräftiger als die stereotypen Berichte der EU-Kommission ist eine jüngst von „Kapital“ publizierte chronologische Auflistung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ruft sie mehr als zwei Dutzend Ermittlungsverfahren seit dem Beginn von Sotir Tsatsarovs Amtsübernahme als Chefankläger im Januar 2013 in Erinnerung. Allen ist gemein, dass Personen öffentlich schwerer Vergehen bezichtigt wurden, ohne dass es schließlich zu einer Verurteilung kam.

Eine ernüchternde Bilanz der Ära Tsatsarov zieht auch der Korruptionsindex von Transparency International. Dort findet sich Bulgarien als am schlechtesten platziertes EU-Land auf Rang 77 in Gesellschaft von Tunesien und Burkina Faso wieder.

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