Bürgermeisterwahl in Istanbul Mehr als nur eine Kommunalwahl

Istanbul · Seit 2002 gab es kein politisches TV-Duell mehr in der Türkei. Dementsprechend groß war das Interesse der Bürger an der Aussprache der beiden Kontrahenten, die um den Bürgermeistersessel in Istanbul kämpfen.

Menschen sehen sich die Liveübertragung der Fernsehdebatte zwischen Binali Yildirim (r), und Ekrem Imamoglu an.

Menschen sehen sich die Liveübertragung der Fernsehdebatte zwischen Binali Yildirim (r), und Ekrem Imamoglu an.

Foto: dpa/Emrah Gurel

Richtig fesselnd war die Debatte zwischen Ekrem Imamoglu und Binali Yildirim am Ende allerdings nicht. Dennoch verfolgten die Istanbuler am Sonntagabend in Cafés, Parks und ihren Wohnzimmern das Kräftemessen zwischen den Kandidaten von Opposition und Regierung bis spät in die Nacht. Schließlich war es das erste Mal seit 2002, dass sich in der Türkei zwei Kandidaten ein TV-Duell lieferten - und die einzige Gelegenheit, einen direkten Schlagabtausch zwischen den Bewerbern für die so wichtige Wahl zu erleben.

Längst geht es bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul am kommenden Sonntag nicht mehr allein darum, wer die 16-Millionen-Metropole die nächsten vier Jahre regiert. Sondern vor allem auch um die Frage, ob es in der Türkei überhaupt noch einen Machtwechsel durch faire demokratische Wahlen geben kann. Akzeptieren beide Seiten dieses Mal das Ergebnis? Oder wird eine Seite Einspruch erheben, wie die Regierung nach dem 31. März?

Bei der Wahl Ende März hatte Imamoglu von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) eine hauchdünne Mehrheit über Yildirim errungen. Der Kandidat der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdogan beanspruchte dennoch in der Wahlnacht den Sieg für sich und ließ in der ganzen Stadt Plakate aufhängen, auf denen er den Istanbulern für den Sieg dankte.

In den folgenden Wochen entspann sich eine erbitterte Debatte um die Frage, wer denn nun gewonnen habe und ob bei der Wahl alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Unter dem Druck der AKP ordnete die Wahlkommission schließlich Anfang Mai die Annullierung und Wiederholung der Wahl an. Als Begründung führte sie lediglich an, dass einige der Wahlbüroleiter nicht wie vorgeschrieben staatliche Beamte gewesen seien.

Obwohl die Wahlkommission keine tatsächlichen Manipulationen konstatierte, erneuerte Yildirim bei dem TV-Duell am Sonntagabend seinen Vorwurf, die Wahl sei "gestohlen" worden. Durch wen, sagte der einstige Verkehrsminister und Ministerpräsident auch auf wiederholte Nachfrage nicht. Imamoglu betonte daraufhin, bei der Wahl gehe es "nicht allein um eine Kommunalwahl", sondern um den Kampf für die Demokratie.

Der 49-jährige Lokalpolitiker, der bisher den Istanbuler Stadtbezirk Beylikdüzü regierte, ist seit Wochen unermüdlich im Wahlkampf. "Alles wird sehr schön", ist sein optimistischer Wahlkampfslogan. Der dreifache Familienvater, der sich als "Ekrem Abi" (Bruder Ekrem) anreden lässt, präsentiert sich als bodenständiger Politiker, der die Sorgen der Leute kennt. Gemeinsam können wir eine Lösung finden, lautet seine Botschaft.

Die AKP hat daher ihre Wahlkampfstrategie umstellen müssen. Hatte Erdogan den Wahlkampf vor dem 31. März komplett dominiert, hat er sich dieses Mal völlig zurückgezogen. Statt großer Kundgebungen setzt die AKP auf kleinere Treffen in den Vierteln. Da sich die CHP auf soziale Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Kinderbetreuung fokussiert hat, verspricht auch Yildirim mehr Unterstützung für Familien und Studenten.

Im TV-Duell kritisierte Imamoglu diese Ankündigungen. Yildirim habe "kein Recht", Versprechen zu machen, da seine Partei die Stadt schon seit Jahrzehnten regiere, sagte der CHP-Politiker. Er warf der AKP "Verschwendung" von Steuermitteln vor und hob insbesondere die große Zahl von Dienstwagen hervor. Auch kritisierte er die Unterstützung für AKP-nahe Stiftungen, die von der AKP bevorzugt gefördert worden seien.

Eine wichtige Rolle spielt dieses Mal im Wahlkampf die Lage der Wirtschaft. Durch den Verfall der Währung sind die Lebenshaltungskosten massiv gestiegen. Besonders Familien und Ärmere leiden unter den hohen Preisen. Auch unter AKP-Wählern ist der Unmut darüber groß. Ob sie aber deshalb für die Opposition stimmen, ist keineswegs ausgemacht. Die Wahl am Sonntag dürfte erneut ein enges Rennen werden.

(felt/AFP)
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