Die Lage in der Ukraine eskaliert Bürgerkrieg auf dem Maidan

Kiew · Die Lage in der Ukraine ist am Donnerstag völlig aus der Kontrolle geraten. Scharfschützen der Regierung nahmen Demonstranten unter Feuer. Mehr als 70 Menschen wurden nach Angaben beider Seiten getötet, mehr als 500 verletzt. Die Europäische Union kündigte Sanktionen gegen die Verantwortlichen an. Am Abend beschloss das Parlament das Ende des "Anti-Terror-Einsatzes".

Die Lage in der Ukraine eskaliert: Bürgerkrieg auf dem Maidan
Foto: APF

Die Europäische Union hat nach der Gewalt in der Ukraine Sanktionen beschlossen, die sich vor allem gegen die politische Führung des Landes richten. Die EU-Außenminister einigten sich am Donnerstag in Brüssel darauf, "restriktive Maßnahmen" gegen "die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und übermäßigen Zwang" zu verhängen. Dies sagte die italienische Außenministerin Emma Bonino nach den Beratungen. Sie beschlossen Einreiseverbote sowie das Einfrieren von Konten, wie die italienische Außenministerin Emma Bonino sagte.

Steinmeier schlägt politische Lösung vor

Ein EU-Vermittler-Trio um Außenminister Frank-Walter Steinmeier schlug Präsident Viktor Janukowitsch eine politische Lösung vor: Demnach sollen eine Übergangsregierung gebildet, eine Verfassungsreform begonnen und Parlaments- und Präsidentenwahlen abgehalten werden. Janukowitsch muss mit Sanktionen der Europäischen Union und der USA gegen seinen Machtapparat rechnen. Nach Angaben des polnische Ministerpräsident Donald Tusk soll sich Janukowitsch zu Neuwahlen noch in diesem Jahr bereit erklärt haben. Offizielle Angaben gibt es nicht. Steinmeier will über Nacht in Kiew bleiben und weiter verhandeln. Am Abend beschloss das Parlament das Ende des "Anti-Terror-Einsatzes". Die Abgeordneten verlangten, dass sich alle Einheiten in ihre Kasernen zurückziehen

Bürgerkrieg auf dem Maidan

Während am Unabhängigkeitsplatz weiter bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, verhandelten die drei Außenminister bis zum Nachmittag mit Janukowitsch. Steinmeier wurde von seinen Amtskollegen Laurent Fabius aus Frankreich und Radoslaw Sikorski aus Polen begleitet. "Ansätze für Fortschritte sind vorstellbar", hieß es aus Delegationskreisen. Steinmeier kündigte an, ein zweites Mal mit der Opposition reden zu wollen.

Währenddessen beschlossen die übrigen Außenminister der EU-Mitgliedsländer in Brüssel Kriterien für Sanktionen gegen die ukrainische Führung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich ein und telefonierte mit Janukowitsch. Merkel habe die Eskalationen scharf verurteilt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Alle Seiten müssten unverzüglich von Gewalt Abstand nehmen und die noch am Mittwochabend vereinbarte Waffenruhe umsetzen. Die Hauptverantwortung dafür liege bei der Staatsführung.

Merkel warnt Janukowitsch

Die Bundeskanzlerin habe die Bereitschaft der EU erklärt, Gespräche von Regierung und Opposition zu unterstützen. Sie habe Janukowitsch dringend geraten, dieses Angebot anzunehmen. Jedes Spiel auf Zeit werde den Konflikt weiter anheizen und berge unabsehbare Risiken.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf dagegen dem Westen Erpressung in der Ukraine-Frage vor. Präsident Wladimir Putin wollte auf Bitte Janukowitschs einen Vermittler nach Kiew schicken. Der scheidende Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin könne an Gesprächen zwischen Führung und Opposition teilnehmen, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Agenturen.

Die ukrainische Führung warnte die EU vor Strafmaßnahmen.
"Sanktionen würden die Situation verschärfen, sie wären Öl ins Feuer", sagte Präsidialamtschef Andrej Kljujew. "Bei Sanktionen droht die Gefahr, dass das Land in zwei Teile zerbricht."

USA verhängen Einreiseverbote

Die USA verhängten bereits Einreiseverbote für 20 Ukrainer, die für die Gewalttaten in der Nacht zum Mittwoch verantwortlich seien. US-Präsident Barack Obama verurteilte am Mittwoch (Ortszeit) die Eskalation der Gewalt in der Ukraine. "Es wird Konsequenzen haben, wenn Leute eine Linie überschreiten", drohte Obama.

Wenige Stunden nach dem am Mittwochabend von Regierung und Oppositionsführung vereinbarten Gewaltverzicht waren radikale Demonstranten am Morgen ins Regierungsviertel vorgedrungen. Sie vertrieben die dort stationierten Sicherheitskräfte, wie örtliche Medien berichteten. Regierungssitz und Parlament seien von den Sicherheitskräften überstürzt geräumt worden. Die radikale Oppositionsgruppierung Rechter Sektor hatte mitgeteilt, sich nicht an den Gewaltverzicht halten zu wollen.

Klitschko machte die Staatsführung für den Bruch des Gewaltverzichts verantwortlich. "Die Regierung hat vor den Augen der gesamten Welt zu blutigen Provokationen gegriffen", hieß es in einer Mitteilung. "Bewaffnete Verbrecher wurden auf die Straßen gelassen, um Menschen zu verprügeln."

Proteste seit November

Bereits am Dienstag war es zu schweren Straßenschlachten gekommen. Dabei waren mindestens 28 Menschen getötet und wohl mehr als 1000 verletzt worden. Die Proteste hatten im November begonnen, nachdem Janukowitsch ein unterschriftsreifes Abkommen mit der Europäischen Union gestoppt und sich Russland zugewandt hatte. Moskau gewährte dem finanziell klammen Nachbarn daraufhin Milliardenkredite. Die Opposition fordert, dass die Vollmachten des Präsidenten zugunsten von Regierung und Parlament eingeschränkt werden. Außerdem verlangt sie Neuwahlen.

(dpa/AP/RTR/csi)
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