Brexit-Verhandlungen Boris Johnson droht mit Abbruch „No-Deal“

London · Unter düsteren Vorzeichen sollen sich diese Woche Unterhändler von Großbritannien und EU zur nunmehr achten Verhandlungsrunde zu den künftigen Beziehungen nach dem Brexit treffen. Im Vorfeld macht Premier Johnson mächtig Druck.

 Kurz vor der nächsten Gesprächsrunde über ein Brexit-Anschlussabkommen hat der britische Premier Boris Johnson von der EU mehr Tempo und Entgegenkommen gefordert.

Kurz vor der nächsten Gesprächsrunde über ein Brexit-Anschlussabkommen hat der britische Premier Boris Johnson von der EU mehr Tempo und Entgegenkommen gefordert.

Foto: dpa/Toby Melville

Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit einem Abbruch der Gespräche über einen Brexit-Anschlussdeal und einem harten wirtschaftlichen Bruch mit der EU gedroht. Bis zu einem für 15. Oktober geplanten EU-Gipfel sollte es eine Einigung geben - sonst sehe er kein freies Handelsabkommen, erklärte Johnson über sein Büro. Ein solches Szenario sollten dann beide Seiten „akzeptieren und weitergehen“. Ein sogenannter No-Deal-Brexit wäre sogar ein „guter Ausgang für das Vereinigte Königreich“. Johnson forderte von Brüssel zudem Entgegenkommen ein: Eine Einigung sei nur dann möglich, wenn die EU-Unterhändler ihre „aktuellen Positionen überdenken“ würden. Erst kürzlich warf der Staatenbund der Regierung in London vor, nicht ernsthaft zu verhandeln.

Johnson äußerte sich am Sonntag vor einer achten Verhandlungsrunde mit dem britischen Unterhändler David Frost und dessen EU-Kollegen Michel Barnier, die am Dienstag in London beginnen soll.

Großbritannien hat die EU am 31. Januar verlassen. Bis Jahresende gilt noch eine Übergangsphase, in der das Land noch Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion ist. Sollte London und Brüssel im Ringen um ein Abkommen über ihre künftigen Beziehungen scheitern, droht Anfang 2021 ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen. Ohne Deal, warnen britische Frachtfirmen zudem, könnte es zu Blockaden an Häfen und massiven Lieferengpässen bei wichtigen Verbrauchsgütern in Großbritannien kommen.

Johnson betonte dennoch, sein Land werde „mächtig florieren“, selbst wenn es „eine Handelsvereinbarung mit der EU wie mit Australien“ hätte. Mit dem Verweis auf Down Under umschreibt die konservative britische Regierung gerne einen „No-Deal“-Brexit.

Zankapfel in den Verhandlungen um einen Anschlussdeal ist der Zugang europäischer Boote zu den britischen Fischgründen sowie staatliche Hilfe für Industrien. Brüssel besteht auf einheitliche Bedingungen beim Wettbewerb, damit London nicht EU-Standards beim Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten unterlaufen oder öffentliche Gelder in Industrien auf der Insel pumpen kann.

Großbritannien hält der EU wiederum vor, Forderungen zu erheben, die sie anderen Ländern, mit denen sie Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, nicht auferlege, etwa Kanada. Unterhändler Frost betonte im Interview der „Mail on Sunday“, dass sein Land nicht klein beigeben werde und auch nicht vor einem „No-Deal“-Szenario zurückschrecke. Für sein Land sei es von fundamentaler Bedeutung, die Kontrolle über seine eigenen Gesetze zu haben. Da werde es keine Kompromisse geben, sagte Frost. Großbritannien wolle „die Befugnisse zurückbekommen, um unsere Grenzen zu kontrollieren und das ist die Hauptsache“. Regeln zu einheitlichem Wettbewerb, die „uns an die Herangehensweise der EU ketten“, werde man nicht hinnehmen.

EU-Unterhändler Barnier ließ hingegen erst in der vergangenen Woche durchblicken, dass er angesichts mangelnder Fortschritte bei den Gesprächen „besorgt und enttäuscht“ sei. Großbritannien habe sich nicht konstruktiv verhalten. Die EU möchte den Brexit-Anschlussdeal vor November vereinbaren, damit genug Zeit für eine parlamentarische Zustimmung und eine juristische Prüfung bleibt. Johnson selbst legte die Latte mit der Frist bis zum 15. Oktober nun höher.

Nach einem Bericht der „Financial Times“ droht noch mehr Ärger: Die Johnson-Regierung plane ein Gesetz, das bereits gemachte Zusagen einer Beibehaltung einer offenen Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und EU-Mitglied Irland verwässern würde. Das Versprechen gilt als Schlüsselelement eines rechtlich bindenden Scheidungsabkommens zwischen Großbritannien und der EU aus dem vergangenen Jahr. Doch Brexit-Hardliner hassen die Vereinbarung, weil Nordirland damit an bestimmte EU-Regeln gebunden bleibt. Jeder Schritt, die an diesem Arrangement rüttelt, dürfte die EU verärgern und damit den Erfolg der Handelsgespräche gefährden.

(özi/dpa)
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