Was Igor Eidman über seinen Cousin Boris Nemzow sagt "War am Ende doch ein Fehler, aus Borja einen Politiker zu machen"

Leipzig · Mehr als drei Wochen sind seit dem Mord an Kreml-Kritiker Boris Nemzow vergangen. Einer, der um ihn trauert, ist sein in Deutschland lebender Cousin Igor Eidman. Über Nemzow sagte er jetzt in einem Interview: "Ich glaube, bei ihm hat der Selbsterhaltungsinstinkt versagt."

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Igor Eidman hat Russland mit seiner Familie im Jahr 2009 verlassen, nachdem er Filz im staatlichen Soziologie-Institut öffentlich gemacht und daraufhin Drohungen erhalten hatte. Die "Süddeutsche Zeitung" hat den 46-jährigen Soziologen nun in Leipzig zum Gespräch getroffen. Es wurde ein Gespräch über den Aufstieg und Fall von Boris Nemzow und auch darüber, wen Eidman für dessen Tod verantwortlich hält.

"Es war am Ende doch ein Fehler, aus Borja (Verniedlichungsform von Boris, Anmerk. d. Red.) einen Politiker zu machen", sagt Eidman der "Süddeutschen Zeitung". Denn er sei es gewesen, der ihn überhaupt Mitte der 80er Jahre in die Politik gedrängt habe. Damals habe sich Eidman selbst an politischen Märschen in Russland beteiligt, während sein Cousin an seiner Doktorarbeit schrieb. "Borja konnte schon damals gut reden", sagt er heute. "Egal worüber. Wir in der Protestbewegung dachten, es wäre eine Verschwendung, wenn er hinter Papierstapeln verschwinden würde. Wir redeten auf ihn ein." Heute würde er das zutiefst bereuen.

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Wette um eine Flasche Cognac

Er habe damals mit Nemzow um eine Flasche Cognac gewettet, dass er als Abgeordneter kandidieren könne. Nemzow sei zwar nicht zur Wahl zugelassen worden, aber er habe direkt ein Jahr später wieder kandidiert. Er sei beliebt gewesen als Gouverneur von Nischni Nowgorod, sagt sein Cousin. Schließlich hatte ihn der damalige Präsident Boris Jelzin als Vize-Ministerpräsident nach Moskau geholt.

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Eidman sagt über diese Zeit: "Er katapultierte Borja in eines der höchsten Ämter und zehrte von seiner unverbrauchten Energie. Und zwei Jahre später war auch Borja verbraucht. Sie entsorgten ihn." Die Menschen hätten von Nemzow ein Wunder erwartet. Dass dies ausgeblieben sei — er hatte den Plan, die Oligarchen an die Leine zu nehmen —, hätten sie ihm nie verziehen.

Auch über den Privatmann Nemzow spricht Eidman im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung", über gemeinsame Abende in dessen Küche in Nischni Nowgorod. Er habe sich mit Wein ausgekannt und ein Faible für schöne Frauen gehabt. Er sei der Meinung gewesen, dass sich jeder Mann mit mehreren Frauen treffen sollte.

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"Er liebte das Leben zu sehr"

Kritik will er an Nemzow nicht üben. "Sobald ich anfangen würde, ein einigermaßen vollständiges, vom Heiligenbild abweichendes Porträt meines Cousins zu zeichnen, würden die Trolle des Kremls darauf anspringen: Hach sogar Nemzows Verwandtschaft meckert ihm hinterher!"

In Bezug auf den Mord an seinem Cousin hat der Soziologe denn auch seine Theorie. "Jemand anderes als Wladimir Putin hätte sich das nie im Leben getraut. Das weiß jeder in Russland", sagt er. Niemand außer ihm hätte das veranlassen können. Er glaubt aber auch nicht, dass sich Nemzow "geopfert habe". "Dafür liebte er das Leben zu sehr. Ich glaube, bei ihm hat der Selbsterhaltungsinstinkt versagt."

(das)
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