Wahlkampf in Großbritannien Johnson verspricht „frühes Weihnachtsgeschenk“

London · Vor der Parlamentswahl in Großbritannien überbieten sich die drei wichtigsten Parteien mit teuren Wahlversprechen. Premierminister Boris Johnson stellt außerdem Brexit-freie Weihnachtstage in Aussicht.

 Wahlkämpfer Boris Johnson am Sonntag am Londoner Bahnhof Euston.

Wahlkämpfer Boris Johnson am Sonntag am Londoner Bahnhof Euston.

Foto: AP/Dan Kitwood

Der britische Premierminister Boris Johnson will noch vor Weihnachten das Ratifizierungsgesetz für das Brexit-Abkommen durch das Parlament bringen. Die Weihnachtszeit selbst solle dann aber Brexit-frei sein, teilte der Regierungschef am Sonntag kurz vor der Präsentation des Wahlprogramms seiner Konservativen Partei mit. Er sprach von einem „frühen Weihnachtsgeschenk für die Nation“. Die Briten wählen am 12. Dezember ein neues Parlament.

Die Menschen sollten die Festtage frei vom anscheinend nicht enden wollenden Brexit-Drama genießen können, sagte Johnson. Der Austritt aus der Europäischen Union bis Ende Januar sei machbar. „Es ist an der Zeit, .... ein neues Kapitel in der unglaublichen Geschichte dieses Landes zu beginnen, des besten Ortes auf Erden“, schrieb Johnson am Sonntag im Kurznachrichtendienst Twitter.

Die Konservativen greifen für ihre Wahlversprechen tief in die Tasche, versprechen aber zugleich, Einkommenssteuer, Sozialversicherungsbeiträge und Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Zahlreiche Punkte aus dem Wahlprogramm hatte Johnson schon vorab bekannt gegeben: So will er kräftig in den maroden, staatlichen Gesundheitsdienst NHS investieren. Die Polizei bekommt
20 000 zusätzliche Stellen zur Verbrechensbekämpfung.

In Umfragen liegen die Tories deutlich vor den anderen Parteien. Doch hat Großbritannien ein Mehrheitswahlrecht; nur wer in einem der 650 Wahlkreise die Mehrheit holt, bekommt auch den entsprechenden Sitz im Parlament. Der Sieg ist Johnson daher noch nicht sicher.

Die Liberaldemokraten und die Labour-Partei hatten ihre Wahlprogramme bereits am Mittwoch und Donnerstag vorgestellt. Die großen Themen sind neben dem geplanten EU-Austritt eine Reform des NHS, Wirtschaft und Infrastruktur, Arbeit und Soziales und das Klima.

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Foto: dpa/Alastair Grant

Brexit:

Das wichtigste Wahlversprechen der Konservativen ist, den EU-Austritt bis zum 31. Januar 2020 mit dem nachverhandelten Brexit-Deal zu vollziehen.

Labour verspricht, binnen drei Monaten ein neues Brexit-Abkommen zu verhandeln. Anschließend sollen die Briten in einem zweiten Referendum die Wahl zwischen einem Brexit mit enger Anbindung an die EU oder einem Verbleib in der Staatengemeinschaft haben.

Die Liberaldemokraten versprechen, den Brexit zu stoppen. Sollten sie an die Macht kommen, wollen sie den Austrittsantrag Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft laut Artikel 50 der EU-Verträge sofort zurücknehmen - ohne weiteres Referendum.

Gesundheitsversorgung:

Die Konservativen haben bis 2023/24 bereits 33,9 Milliarden Pfund (39,5 Mrd Euro) für den NHS versprochen. Zudem wollen sie über einen Zeitraum von zehn Jahren 40 neue Krankenhäuser bauen und in neue Geräte für die Frühdiagnostik von Krankheiten investieren.

Die Labour-Partei will die Privatisierung des Gesundheitswesens stoppen. Dazu verspricht das Wahlprogramm eine Ausgabensteigerung von rund 4,3 Prozent pro Jahr. Zusätzliche 1,6 Milliarden Pfund sollen jährlich für die Behandlung psychisch Kranker ausgegeben werden.

Die Liberaldemokraten wollen jedes Jahr sieben Milliarden Pfund zusätzlich in den Gesundheitsdienst NHS und in die Pflege hilfsbedürftiger Menschen investieren. Die Behandlung psychischer Störungen soll stärker in den Vordergrund treten. Finanziert werden sollen die Investitionen über die Einkommensteuer.

Klima:

Die Konservativen wollen Großbritannien bis 2050 klimaneutral machen. Rund 6,3 Milliarden Pfund sollen investiert werden, um Häuser und Wohnungen energiesparender zu machen, etwa durch Wärmedämmung.

Die Labour-Partei verspricht eine „grüne industrielle Revolution“, die das Land zwischen 2030 und 2040 klimaneutral machen und eine Million neuer Jobs schaffen soll. Dafür will sie einen nationalen Umgestaltungsfonds in Höhe von 400 Milliarden Pfund zur Verfügung stellen. Ein Großteil soll direkt in erneuerbare und kohlenstoffarme Energien und Verkehrsmittel investiert werden.

Die Liberaldemokraten setzen auf erneuerbare Energien, eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und eine höhere Besteuerung von Vielfliegern. Großbritannien soll bis 2030 mindestens 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen. Zudem wollen sie 60 Millionen Bäume pflanzen lassen.

Wirtschaft und Infrastruktur:

Die Konservativen wollen mehr in die Infrastruktur investieren - vor allem in die Sanierung von Straßen. Zugleich wollen sie Arbeitnehmer und Betriebe bei Aus- und Weiterbildungsprogrammen unterstützen. Abgaben für Unternehmen sowie für Veranstaltungsorte, Kinos und Pubs sollen gesenkt werden.

Die Labour-Partei will die Wasser- und Energieversorgung sowie das Eisenbahnnetz und die Post verstaatlichen. Auch der Telekommunikationsriese BT soll teilverstaatlicht werden. Die Briten sollen künftig ohne Gebühren mit Internetanschlüssen versorgt werden.

Die Liberaldemokraten wollen rund 130 Milliarden Pfund in Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr, Energieversorgung, Schulen, Krankenhäuser und Wohnungsbau investieren.

Arbeit und Soziales:

Die Konservativen wollen zusätzlich eine Milliarde Pfund für die Kinderbetreuung ausgeben. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Betreuung am Nachmittag und während der Ferien.

Die Labour-Partei will einen existenzsichernden Mindestlohn von 10 Pfund pro Stunde einführen. Große Unternehmen sollen ihre Mitarbeiter an den Profiten beteiligen. Labour will auch mit einem Grundeinkommen experimentieren. Der Mutterschutz soll ausgeweitet werden. Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren sollen Anspruch auf 30 Stunden Gratisbetreuung pro Woche bekommen. Zudem will Labour jährlich 150.000 neue Wohnungen bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen.

Die Liberaldemokraten wollen Dienstleistern mit Null-Stunden-Verträgen (ohne garantierte Mindestarbeitszeit) eine Lohnerhöhung von 20 Prozent zusichern. Alle Kinder im Alter von zwei bis vier Jahren sollen Anspruch auf 35 Stunden Gratisbetreuung pro Woche haben, Kinder von arbeitenden Eltern bereits ab neun Monaten. Jedes Jahr sollen 300.000 neue Häuser und Wohnungen gebaut werden - davon 100.000 Sozialwohnungen.

(jco/dpa)
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