Britisches Referendum gefährdet EU-Verfassung Blair lässt Alarmglocken schrillen

Brüssel (rpo). Heftige Reaktionen hat die Ankündigung von Großbritanniens Premierminister Blair hervorgerufen, die Briten per Volksabstimmung über die geplante EU-Verfassung entscheiden zu lassen.

Trotzig reagierte Klaus Hänsch auf die Nachricht des Referendums. Sollten die Briten "Nein" sagen, wäre der Austritt des Landes "die logische Konsequenz", sagte der SPD-Europaabgeordnete. Eine Ablehnung der Verfassung durch die Briten hätte ernste Konsequenzen für ganz Europa, warnten Europaexperten am Dienstag: Andere Regierungen könnten unter Zwang geraten, ebenfalls Verfassungsreferenden anzusetzen, was das Risiko eines Scheiterns der gesamten EU-Reform erhöhe. "Aus gesamteuropäischer Sicht ist das besorgniserregend", sagt Kirsty Hughes von der London School of Economics (LSE).

Auch die Expertin am Europäischen Institut der LSE sieht für den Fall eines "Nein" der Briten die Frage nach dem Austritt aus der EU gestellt. Dies könne sich zu einer gravierenden politischen Krise ausweiten. Zum Austritt eines EU-Landes dürfte es nach den Erfahrungen der bisherigen EU-Geschichte wohl nicht kommen - aber ein großer Unsicherheitsfaktor für die mit der Verfassung geplante EU-Reform ist der Urnengang der Briten auf jeden Fall.

"Wollt ihr drin sein oder draußen?"

Blairs Entscheidung könne aber auch etwas Gutes einbringen, sagt die Europaexpertin Katinka Barysch vom Londoner "Centre for European Reform": Klarheit für die Briten und ihre Partner, wo das Königreich in Europa selber stehen wolle. "Irgendwann muss Blair die Briten fragen: Wollt ihr drin sein oder draußen?", sagt Barysch. Denn darum gehe es in dem Referendum eigentlich: um die Rolle Großbritanniens in der EU. Für dieses Votum die Verfassung zum Anlass zu nehmen sei wahrscheinlich immer noch besser als die Debatte über den auf der Insel wenig populären Beitritt zur Euro-Zone.

Wird die Verfassung durch einen Mitgliedstaat abgelehnt, müssten die Regierungen zurück an den Verhandlungstisch. Das wäre nicht das erste Mal. Im Sommer 1992 stimmten die Dänen zunächst gegen den Vertrag von Maastricht. Erst nachdem die Regierungen dem Land zugestanden hatten, frei über die Teilnahme am Euro zu entscheiden, gab ein Jahr später eine Mehrheit dem Vertrag seinen Segen. Hatten die Dänen so nachträglich noch ein "opt out" für den Euro herausgehandelt, brachte den Iren im Jahr 2001 ihre Ablehnung im Referendum zur Vertragsreform von Nizza im Prinzip nichts ein. Nach einer großen Kampagne der Regierung in Dublin, die von den anderen Hauptstädten unterstützt wurde, nahmen auch die Iren ein Jahr später den heute gültigen Vertragstext an.

Die als besonders europakritisch geltenden Briten werden so einfach nicht zu überzeugen sein. Früher oder später habe die Regierung in London die Öffentlichkeit aber ohnehin mit Europa konfrontieren müssen, sagt Ben Crum vom Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Das werde zwar angesichts der öffentlichen Meinung kompliziert werden, trotzdem könne Blair den richtigen Zeitpunkt gewählt haben. Zugleich bekomme Blair in den langsam wieder anlaufenden Verhandlungen über die EU-Verfassung ein wirksames Druckmittel an die Hand. So müsse sich der Premier nur vor seine EU-Kollegen stellen und auf das Risiko des Referendums hinweisen nach dem Motto: "Wenn ich das zuhause nicht verkaufen kann, wird niemand eine EU-Verfassung bekommen."

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