Beunruhigte Demokraten Biden kriegt kaum etwas im Kongress durch

Washington · Biden ist mit einer ehrgeizigen Agenda ins Weiße Haus eingezogen, vor allem der liberale Flügel der Demokraten hat sich eine radikale Wende nach den Trump-Jahren erhofft. Was ist bislang aus den Wahlversprechen geworden?

   Einblick in den Sitzungssaal des Kapitols in Washington.

Einblick in den Sitzungssaal des Kapitols in Washington.

Foto: dpa/Saul Loeb

Hoffnungen auf umfassende Infrastrukturmaßnahmen sinken. Ein ehrgeiziges Gesetz zur Sicherung von Wahlen und des Wahlrechts ist praktisch tot. Gesetzentwürfe zur Reform der Polizei, zur Waffenkontrolle und Einwanderung hängen fest. Die Demokraten sind nun schon seit Monaten in Washington am Ruder, aber bisher haben sie im Kongress kaum etwas gebacken bekommen, sind viele der großen Wahlversprechen von US-Präsident Joe Biden unerfüllt geblieben - nicht nur wegen republikanischer Blockaden, sondern auch wegen der eigenen Unfähigkeit der Demokraten, an einem Strang zu ziehen.

So ist denn vor allem der progressive Flügel der Partei zunehmend beunruhigt, dass viele von Bidens Prioritäten, die ihnen besonders am Herzen liegen, dauerhaft auf der Strecke bleiben könnten. „Es gibt eine Menge Besorgnisse“, sagt der Abgeordnete Ro Khanna, der 2020 die Wahlkampagne des selbsterklärten demokratischen Sozialisten Bernie Sanders mitgeleitet hat. „Es ist wirklich eine Frage für Präsident Biden: Welche Art von Präsident will er sein?“

Die nächsten Monate könnten entscheiden, ob Biden und seine Verbündeten im Kongress wirklich die derzeitige Machtkonstellation im Land - Kontrolle des Weißen Hauses, Mehrheit im Abgeordnetenhaus und einen Vorteil im Senat - nutzen können, das Land nach vier Jahren Donald Trump zu transformieren. Nach einer Feiertagspause sind die Kongressmitglieder wieder nach Washington zurückgekehrt, und der demokratische Fraktionschef im Senat, Chuck Schumer, warnte die eigenen Reihen mit Blick auf die festgefahrene Biden-Agenda, dass der Juni „unsere Entschlossenheit auf den Prüfstand stellen wird“.

Im Senat besetzen Demokraten und Republikaner jeweils 50 Plätze. Vizepräsidentin Kamala Harris ist in ihrer Funktion als Senatspräsidentin in der Lage, das Patt mit ihrer Stimme zu Gunsten der Demokraten zu brechen. Eine einfache Mehrheit kann bei manchen Gesetzen ausreichen - wenn denn alle Demokraten geschlossen dafür stimmen. Aber ein gemäßigter demokratischer Senator aus West Virginia, Joe Manchin, legt sich zunehmend quer.

So gab er just seine Opposition gegen das Wahlgesetz bekannt, das kurz S.1 genannt wird, weil es eine Toppriorität der Partei ist. Viele Demokraten halten es für enorm wichtig, um die Demokratie zu schützen: Es ist eine direkte Antwort auf eine Reihe von restriktiven Wahlgesetzen, die in republikanisch regierten US-Staaten verabschiedet worden oder geplant sind - angetrieben von Ex-Präsident Trump.

„Fühle ich mich entmutigt? Ja“, sagt die Abgeordnete Pramila Jayapal, die den Congressional Progressive Caucus - ein Gremium der progressiven Demokraten im Kongress - leitet. Wenn Bidens Wahlversprechen nicht umgesetzt würden, werde man „für eine Generation Wähler verlieren“.

Bislang waren demokratische Senatoren bereit, guten Willen zu zeigen und zu versuchen, Gesetze möglichst auch mit republikanischen Stimmen in ihrer Kongresskammer durchzubringen. Aber jetzt sind sie mit wachsendem Druck von Wählern konfrontiert, die ihnen ihre Stimme mit der Erwartung gegeben haben, härter für Gesetze zu kämpfen, die die Republikaner nun durch Filibuster - Dauerreden - zu blockieren versuchen. Um solche Blockaden zu brechen, sind 60 Stimmen im Senat nötig, und die haben die Demokraten nicht.

Manche Senatoren der Partei wollen daher nun das Filibuster abschaffen, einige sind dafür, die Regeln so zu ändern, dass die Schwelle künftig bei 51 statt bei 60 Stimmen liegt. Das würde - Harris eingerechnet - für sie ausreichen, wenn alle in ihrem Lager mitziehen. Auch erfordert eine Regeländerung selbst nur 51 Stimmen.

Aber Manchin sperrt sich nicht nur gegen das Wahlgesetz, nach seinen Worten „das falsche Gesetzeswerk, um das Land zusammenzuführen“, sondern auch gegen eine Abschaffung des Filibusters. Am Dienstag sollten Bürgerrechtler in Washington mit dem Senator zusammenkommen, um mit ihm über das Wahlgesetz und andere Vorhaben zu sprechen. Biden hatte sie dazu gedrängt, aber bat sie zugleich, das Gespräch konstruktiv zu halten und keinen Druck auf Manchin auszuüben, wie ein Insider schilderte.

Derweil setzen demokratische Gruppen, die S.1. unterstützen, eine an Senatoren der Partei gerichtete 30 Millionen teure Kampagne fort, um sie zur Änderung der Filibuster-Regeln und der Verabschiedung des Wahlgesetzes zu bewegen. Aber Manchin ist nicht der einzige im eigenen Lager, der sich sperrt. So zählt auch Senatorin Kyrsten Sinema aus Arizona zu den Filibuster-Verteidigern.

Bleibt es dabei, werden die demokratischen Senatoren gezwungen sein, sich der fragilen Mehrheit in der kleinen Kongresskammer zu stellen. Sollten sie sich entscheiden, den großen Infrastruktur-Gesetzentwurf auch ohne jegliche republikanische Unterstützung zu verfolgen, dann müssten sie geschlossen handeln: Sie können sich keinen einzigen Abtrünnigen leisten.

Sollten bei den Wählern populäre Wahlversprechen unerfüllt bleiben, könnte das die Spaltungen innerhalb der Partei verschärfen und die Demokraten nicht nur Kritik aus dem eigenen Lager, sondern auch von Republikanern aussetzen: Es wäre eine ideale Gelegenheit für die Konservativen zu sagen, dass Bidens Partei regierungsunfähig sei.

„Wir müssen den Ball vorwärts bewegen“, meint denn auch Yvette Simpson von der liberalen Organisation Democracy for America. „Wir haben allen gesagt, trotz der Pandemie-Risiken wählen zu gehen“, sagt sie über die Wahl 2020. Man habe für den Fall eines demokratischen Wahlsieges versprochen, „dass wir alle diese großartigen Dinge geschehen sehen, ihre Leben besser werden. Aber was sie feststellen ist, dass es aussieht wie das übliche Washington.“

(june/dpa)
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