Nach möglicher Vergiftung Kreml-Kritiker Nawalny in Berlin eingetroffen

Berlin/Omsk · Alexej Nawalny liegt im Koma, sein engster Kreis geht von einem Giftanschlag aus. Nun ist der prominente Kreml-Kritiker in Berlin angekommen, er wird derzeit in der Charité untersucht.

 Ein Spezialflugzeug mit dem Kremlkritiker Nawalny an Bord startet vom Flughafen in Omsk in Richtung Deutschland.

Ein Spezialflugzeug mit dem Kremlkritiker Nawalny an Bord startet vom Flughafen in Omsk in Richtung Deutschland.

Foto: dpa/Evgeniy Sofiychuk

Die Maschine erreichte um 8.47 Uhr den Flughafen Tegel, wie es auf der Webseite Flightradar24 hieß. Das von der Initiative Cinema for Peace gecharterte Flugzeug war in der Nacht im sibirischen Omsk gestartet. Das teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch am Samstagmorgen nach Abflug in der Großstadt auf Twitter mit. Omsk nahe der Grenze zu Kasachstan liegt rund 4000 Kilometer von Berlin entfernt, der Flug dauert mehrere Stunden.

"Der Zustand von Nawalny ist stabil", sagte der Gründer von Cinema for Peace, Jaka Bizilj, der Nachrichtenagentur AFP kurz nach der Landung der Maschine. Die von ihm geleitete Organisation hatte das Flugzeug gechartert und die Verlegung nach Deutschland organisiert.

"Der Kampf um Alexejs Leben und seine Gesundheit hat gerade erst begonnen, und es gibt noch viel zu tun, aber jetzt ist zumindest der erste Schritt getan", schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch im Onlinedienst Twitter kurz vor dem Abflug in Omsk. Der Abflug hatte sich um Stunden verzögert, weil die russischen Ärzte einer Verlegung Nawalnys zuerst nicht zustimmen wollten.

Die Berliner Charité erklärte am Samstagmorgen, die behandelnden Ärzte würden sich "nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie zu der Erkrankung und weiteren Behandlungsschritten" äußern. Die Untersuchungen würden "einige Zeit in Anspruch nehmen", erklärte die Charité weiter. Sobald neue Erkenntnisse vorlägen, werde die Öffentlichkeit informiert. Auch Nawalnys Familie will sich erst nach einer ersten Diagnose äußern, wie Cinema for Peace weiter mitteilte.

Der 44-jährige Nawalny liegt seit Donnerstag im Koma und wird künstlich beatmet. Nawalny gilt als einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin.

Seine Familie und Kollegen gehen davon aus, dass er während einer Reise durch Sibirien vergiftet wurde. Aus Sicht der russischen Ärzte gibt es dafür jedoch keinen Beleg. Sie sprachen lediglich von einer Stoffwechselstörung. Nawalny ist seit Jahren der führende Kopf der liberalen Opposition. Der studierte Jurist wirft der Regierung und Oligarchen regelmäßig Korruption und Machtmissbrauch vor. Auf ihn hatte es schon mehrfach Anschläge gegeben.

Nawalnys Sprecherin Jarmysch schrieb auf Twitter, trotz der Ausreisegenehmigung sei es für Freude noch zu früh. „Alexej ist noch immer nicht zu sich gekommen und er ist nicht in Ordnung.“ Zunächst hatten die russischen Mediziner einen Transport abgelehnt, weil der Zustand des Patienten keinen Flug erlaube. Dagegen hatten deutsche Ärzte nach der Ankunft in Omsk keine Bedenken. Erst am Freitagabend gab das Krankenhaus dann die Erlaubnis. Die russischen Behörden warnten die Familie jedoch, dass sich Nawalnys Zustand durch den Flug verschlechtern könnte.

Nawalnys Anwalt brachte am Freitag auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen entsprechenden Antrag zur Ausreise ein. Das Gericht in Straßburg stimmte dem Antrag im Schnellverfahren zu - was nach dem grünen Licht der Ärzte aber keine praktischen Auswirkungen mehr hatte. Nach Darstellung der Klinik in Minsk leidet Nawalny an einer Stoffwechselstörung. „Das ist die Hauptdiagnose, zu der wir am ehesten neigen“, sagte Chefarzt Alexander Murachowski. Eine Vergiftung schloss er aus.

Nawalny wollte nach einem Aufenthalt in Sibirien eigentlich am Donnerstag zurück nach Moskau fliegen. Am Flughafen in Tomsk habe er noch einen Tee getrunken, sagte seine Sprecherin. Während des Flugs habe er sich unwohl gefühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren. Das Flugzeug landete dann in Omsk.

Zahlreiche Politiker in der ganzen Welt forderten eine transparente Aufklärung. Die Hintergründe sind noch vollkommen unklar. In Russland waren jedoch mutmaßliche Vergiftungen im politischen Milieu in der Vergangenheit immer wieder ein Thema. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sagte der „Passauer Neue Presse“ (Samstag): „Da gibt es einen starken Verdacht, dass es sich auch hier um einen erneuten Anschlag auf einen russischen Oppositionellen handelt. Es zeigt sich ein gewisses Muster.“

(vek/dpa/AFP)
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