Bericht der Vereinten Nationen Weltweit sind 82 Millionen Menschen auf Flucht vor Gewalt
Genf · Die Zahl der Flüchtlinge ist weltweit trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie auf einen Höchstwert gestiegen. Auch viele Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind betroffen. Was die UN nun fordert.
Die Zahl von Menschen auf der Flucht vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ist auf 82,4 Millionen weltweit gestiegen, ein neuer Höchststand. Das gab das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) am Freitag in Genf bekannt. Demnach verließen ungeachtet der Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie 2020 noch einmal fast drei Millionen Menschen mehr als im Vorjahr aufgrund von Konflikten oder Verfolgung ihre Heimat. Der seit nahezu einem Jahrzehnt anhaltende Trend müsse gestoppt werden, erklärte das UNHCR.
Dem Bericht zufolge gab es Ende vergangenen Jahres 20,7 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat, 5,7 Millionen palästinensische Flüchtlinge und 3,9 Millionen Venezolaner, die ihre Heimat aufgrund der dort herrschenden Krise verließen. Weitere 48 Millionen Menschen lebten als Binnenvertriebene im eigenen Land. Hinzu kommen laut dem Report 4,1 Millionen Asylsuchende. Gegenüber dem Jahr 2011 verdoppelte sich die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen.
Hinter den Zahlen stünden immer Menschen und ihr Leid, betonte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, anlässlich des Weltflüchtlingstages am kommenden Sonntag. „Hinter jeder Zahl steht eine Person, eine Geschichte der Vertreibung, Enteignung und des Leids“, sagte er. „Sie verdienen unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung, nicht nur durch humanitäre Hilfe, sondern auch dadurch, dass wir eine Lösung für ihre Not finden.“ Der Hochkommisar rief die Länder auf, an den Fluchtursachen anzusetzen und etwa die vielen bewaffneten Konflikte zu befrieden.
Grandi erklärte, über humanitäre Hilfe hinaus gelte es Lösungen zur Beendigung der Not zu finden. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und der Globale Pakt für Flüchtlinge böten den rechtlichen Rahmen und das Werkzeug dafür. Es brauche aber „einen viel stärkeren politischen Willen, um Konflikte und Verfolgung, die Menschen überhaupt erst zur Flucht zwingen, anzugehen“.
Laut den Zahlen sind 42 Prozent der Vertriebenen Mädchen und Jungen unter 18 Jahren. Sie brauchten besonderen Schutz, insbesondere wenn Krisen über Jahre andauerten, hieß es in der Pressemitteilung des UNHCR. Eigene Schätzungen gingen davon aus, dass fast eine Million Kinder zwischen 2018 und 2020 als Flüchtlinge geboren wurden. Viele von ihnen blieben voraussichtlich noch jahrelang Flüchtlinge.
Mehr als zwei Drittel aller Menschen, die aus ihrem Heimatland flohen, stammen laut dem Bericht aus nur fünf Ländern: Syrien, Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar. Fast neun von zehn Flüchtlinge (86 Prozent) werden von Ländern aufgenommen, die an Krisengebiete grenzend ihrerseits Entwicklungsländer sind. Die am wenigsten entwickelten Länder gewährten 27 Prozent aller Flüchtlinge Asyl.
Grandi sieht wenig Anzeichen für eine Verbesserung der Lage. Keine der alten Krisen – Syrien, Afghanistan, Venezuela – sei gelöst. Trotz Aufrufen etwa von UN-Generalsekretär António Guterres, angesichts der globalen Gesundheitsbedrohung durch das Coronavirus Konflikte zu beenden und als Menschheit zusammenzurücken, seien neue Krisen ausgebrochen, etwa in der Tigray-Region Äthiopiens oder im Norden Mosambiks. Die desolate Lage in manchen Ländern – darunter Südsudan, Syrien und die Zentralafrikanischen Republik – droht nach UNHCR-Angaben sogar zu einer Hungersnot zu werden.
Die Lösungen für Krisen, die Menschen in die Flucht treiben, müssten natürlich in den Heimatländern der Flüchtenden gefunden werden, sagte Grandi. Aber in der Zwischenzeit sei Solidarität gefragt. In Zeiten von Corona sei das schwer geworden. „Dass Menschen sich von A nach B bewegen, wird heute als Bedrohung angesehen, als lebensbedrohlich sogar, weil sich das Virus mit den Menschen bewegt. Aber für diejenigen, die vor Konflikt und Verfolgung flüchten, bedeutet das Leben“, sagte er. Die Zahl der Geflüchteten sei hoch, aber die Welt sei in der Lage, ihnen zu helfen. Mauern zu errichten oder Boote auf hoher See zurückzuschicken, löse die Probleme nicht.