Der Dauerkonflikt um Berg-Karabach Krieg und Stillstand

Meinung | Berlin · Aserbaidschan zündelt hochgefährlich mit seinem Militäreinsatz in der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave Berg-Karabach auf aserbaidschanischem Gebiet. Wagt Aserbaidschan diesen Schritt jetzt, weil Armeniens Schutzmacht Russland in der Ukraine gebunden und erschöpft ist?

 Not und Elend trotz Waffenstillstand: Obwohl sich Aserbaidschan und Armenien im Kampf um Bergkarabach auf eine Waffenruhe geeinigt haben, droht eine humanitäre Katastrophe

Not und Elend trotz Waffenstillstand: Obwohl sich Aserbaidschan und Armenien im Kampf um Bergkarabach auf eine Waffenruhe geeinigt haben, droht eine humanitäre Katastrophe

Foto: SOS-Kinderdörfer weltweit/SOS-Archiv 2020

Ist die Welt kriegsmüde? Oder hat sie sich an Krieg längst gewöhnt? Der Ukraine-Krieg tobt mittlerweile seit mehr als 570 Tagen. Wann er endet, weiß niemand. Just in der Woche der UN-Vollversammlung, in der die Welt in New York über Wege zu Frieden in der Ukraine debattiert und in den Hinterzimmern verhandelt, droht eine nächste militärische Auseinandersetzung. Ein alter Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, seit 2020 nach einem erneuten Krieg um die Enklave Berg-Karabach nur mühsam eingefroren, bricht wieder auf.

Aserbaidschan hat damit begonnen, die vorwiegend von Armeniern bewohnte Enklave Berg-Karabach auf aserbaidschanischem Territorium anzugreifen, auch wenn gerade wieder eine Waffenruhe verkündet ist. Weil jeder Krieg eine Begründung braucht, nennt die Regierung in Aserbaidschans Hauptstadt Baku diese militärische Aggression einen Anti-Terror-Einsatz. Terror hat es in der Region schon viel gegeben, von beiden Seiten – meist zulasten der geschundenen Zivilbevölkerung.

Der Südkaukasus ist eine komplizierte Region, in der die Großmacht wie Russland und die regionale Hegemonialmacht Türkei um Einflusssphären kämpfen. Gut möglich, dass Aserbaidschan die Gunst der Stunde genutzt hat und Berg-Karabach genau dann attackiert, da Russland als Schutzmacht von Armenien militärisch in der Ukraine mehr als gebunden ist. Dazu passt, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sitz der Vereinten Nationen in New York, jener Organisation, die über den Weltfrieden wachen soll, die militärische Aggression von Aserbaidschan begrüßt.

Hier Armenien und Russland, dort Aserbaidschan und die Türkei, dazwischen die Enklave Berg-Karabach, während die Türkei weiter versucht, das Schwarzmeer-Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine wiederzubeleben. Es ist ein kompliziertes, kleinteiliges Politpuzzle, dessen Teile zusammengefügt werden müssen – im Namen von Frieden, nicht im Namen von als Anti-Terror-Einsatz getarnter Krieg.

Der politische Streit und der militärische Kampf um Berg-Karabach ist von einem ohnehin andauernden Grenzkonflikt geprägt. Wenn nun, nach kurzer Aggression, tatsächlich eine nächste Waffenruhe gelten sollte, ist dies auch nur eine nächste Pause in diesem weiter schwelenden Konflikt. Berg-Karabach wird ein von beiden Staaten beanspruchtes und umkämpftes Gebiet bleiben. Dabei blockiert Aserbaidschan seit Monaten den Zugang und den Nachschub mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff nach Berg-Karabach mit seinen rund 120.000 Einwohnern.

Erst schafft damit die Regierung in Baku Not in der Enklave, dann schickt sie Hilfe, dann greift sie das Gebiet an. Eine solche Politik ist zutiefst zynisch und schafft vor allem eines nicht, was für echten Frieden in dieser Krisenzone notwendig wäre: Vertrauen. Aserbaidschan traut sich, weil Russland den Armeniern in Berg-Karabach aktuell nicht zur Seite springen kann. Und das Land hat noch einen Vorteil: Es hat selbst Öl und Gas.

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