Belgrad/ Pristina Barrikadenkampf im Kosovo

Belgrad/ Pristina · Fast drei Wochen währt der Streit im überwiegend serbisch besiedelten Teil des Landes. Ohne erhöhten Vermittlungsdruck aus dem Westen scheint ein Ende der Spannungen zwischen Belgrad und Pristina nicht in Sicht.

In Mitrovica im Norden des Kosovo wurden am Mittwoch neue Straßensperren errichtet.

In Mitrovica im Norden des Kosovo wurden am Mittwoch neue Straßensperren errichtet.

Foto: AFP/ARMEND NIMANI

Statt Versöhnungsbotschaften tauschen die Würdenträger der einstigen Kriegsgegner vor dem Jahreswechsel nur düstere Drohgebärden aus. „Wir drohen nicht mit leeren Flinten“, verkündete in dieser Woche Serbiens Verteidigungsminister Milos Vucevic nach einem Truppenbesuch an der Grenze zum Kosovo. Belgrad werde nicht von der „roten Linie“ des Schutzes der serbischen Landsleute im Kosovo abrücken: „Die Armee ist bereit, Serbien und seine Bürger zu schützen.“

Am Mittwoch hat der Kosovo den wichtigsten Grenzübergang nach Serbien nahe der Stadt Podujevo gesperrt. Der Schritt erfolgte, nachdem serbische Militante die Zufahrt auf der serbischen Seite der Grenze blockiert hatten. Wie Medien in Belgrad berichteten, wurden nahe der serbischen Ortschaft Merdare Lastwagen auf der Straße quergestellt, die zum Grenzübergang führt.

Pristina habe das Ziel, „die Serben für alle Zeiten aus dem Kosovo zu vertreiben“, poltert Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic unterdessen. Während Serbien seine Streitkräfte erneut in „höchste Kampfbereitschaft“ versetzt hat, zeigt sich Kosovos Premier Albin Kurti wenig beeindruckt. Falls die internationale Kfor-Schutztruppe nicht im Stande sei, die Barrikaden im Nordkosovo zu räumen, werde dies eben die Kosovo-Polizei tun: „Dies kann nicht Monate oder Wochen dauern.“

Schon seit Jahren versucht die EU, Serbien und den seit 2008 unabhängigen, aber von Belgrad nicht anerkannten Kosovo zu einer Normalisierung ihrer labilen Nachbarschaftsehe zu bewegen: Ein im Sommer von Berlin und Paris vorgelegter Kompromiss-Vorschlag sieht – ähnlich wie bei den früheren Beziehungen zwischen der BRD und DDR – zumindest eine faktische gegenseitige Anerkennung der unwilligen Nachbarn vor.

Doch ob beim verbitterten Streit um Ausweispapiere oder Kfz-Kennzeichen: Bereits seit Monaten liegen die Balkanstreithähne im verschärften Dauerclinch. Fast drei Wochen brodelt nun der eskalierende Barrikadenstreit im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo.

Offiziell wollen die dort von Belgrad in Marsch gesetzten Kosovo-Serben mit Straßenblockaden den Abzug der Kosovo-Polizei, die Freilassung von drei festgenommenen Landsleuten und die bereits 2013 zugesagte, aber nie verwirklichte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen erzwingen.

Auch nach Ende des Kosovokriegs 1999 hatte Serbien die Geschicke im Nordkosovo lange noch diktiert. Nach der Unabhängigkeit des Kosovo 2008 geisterten durch die Medien immer wieder Spekulationen über eine mögliche Abtrennung des Nordkosovos, um die Belgrader Ansprüche auf die Ex-Provinz endgültig zu befrieden: ein Szenario, das die EU ablehnt, aber zu Zeiten von Ex-Präsident Donald Trump in Washington auch Unterstützung fand.

Seit der im Brüsseler Abkommen von 2013 vereinbarten Einstellung der serbischen Parallelverwaltung hat sich Belgrads Position im Nordkosovo zwar geschwächt, aber auch Pristina hat den Norden keineswegs unter Kontrolle. Über den Kosovo-Ableger der „Serbischen Liste“ und ihr nahe stehende „Geschäftsleute“ teilt Serbiens Regierungspartei SNS zumindest politisch im Machtvakuum des Nordens weiter die Karten aus. Es war denn auch die SNS, die ihre Landsleute im Nordkosovo erst zum Verlassen der Kosovo-Institutionen veranlasste – und dann auf die Barrikaden führte.

Warum köchelt der Streit um den Kosovo fast 15 Jahre nach der Unabhängigkeit nun wieder hoch? Eine These ist, dass beide Seiten ihre Position im Nordkosovo erst verbessern wollten, bevor sie sich an das Tauziehen um das von der EU geforderte Nachbarschaftsabkommen machen. Eine andere ist, dass Vucic der deutsch-französische Vorschlag keineswegs zusagt, und wieder eine andere, dass er mit seinen verbalen Offensiven wieder einmal von innenpolitischen Problemen ablenken wolle.

Doch auch Kosovos Regierung hat zu der von der EU und den USA geforderten Deeskalation der Lage mit dem Einreiseverbot von Serbiens Patriarchen Porfirije und der versuchten Demonstration der Stärke im Norden durch Verhaftungen und vermehrte Polizeipatrouillen wenig beigetragen, auch wenn am Mittwoch die erste Freilassung eines festgenommenen Kosovo-Serben angekündigt wurde.

Beide Seiten graben sich im Barrikadenkampf immer tiefer in ihren Positionen ein. Vucic beschimpft Kurti als „terroristischen Abschaum“. Kurti sieht auf den Barrikaden Pseudo-Tschetniks oder Nachahmer der Söldnertruppe Wagner am Werk.

Droht dem Westbalkan ein neuer Waffengang? Düstere Kriegsszenarien mit hohem Panikgehalt werden vor allem von Serbiens Würdenträgern und den ihnen nahestehenden Medien gemalt. Das Land stehe „am Rand eines bewaffneten Konflikts“, so Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic. „Serben im Visier der Scharfschützen!“, warnt die Zeitung „Vesti“, „Kurti bereitet ein blutiges Neujahr vor“, orakelt grimmig das Regierungssprachrohr „Informer“.

Sicher ist, dass beide Seiten laut wie lange nicht mehr mit den Säbeln rasseln. Einen weiteren Krieg in Europa dürfte der Westen kaum zulassen. Ohnehin wäre Serbiens Armee trotz der Aufrüstung mit russischen Altwaffen den Kfor-Truppen hoffnungslos unterlegen. Pristina und Belgrad scheinen ohne Druck von außen zu einer Verständigung kaum in der Lage. Ausgerechnet jetzt hat sich das Heer der Balkan-Diplomaten in die Weihnachtsferien verabschiedet. „Im Kosovo kocht es, aber nirgendwo sind die EU- und US-Sonderbeauftragten zu sehen“, schrieb der Belgrader „Blic“.

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