Proteste in Belarus Belarussische Arbeiter buhen Präsidenten aus - Lukaschenko verspricht Zugeständnisse

Minsk · Nach Demonstrationen gibt es in Belarus jetzt auch Streiks gegen Präsident Lukaschenko. Dieser erklärt sich zur Machtteilung bereit. Als er eine Rede vor Arbeitern hält, erlebt er aber eine böse Überraschung.

 Alexander Lukaschenko (oben, r), Präsident von Belarus (Weißrussland), spricht bei einer Kundgebung vor dem Minsker Radschlepperwerk.

Alexander Lukaschenko (oben, r), Präsident von Belarus (Weißrussland), spricht bei einer Kundgebung vor dem Minsker Radschlepperwerk.

Foto: dpa/Nikolai Petrov

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko ist nach den tagelangen Protesten gegen seinen Amtsverbleib nach eigenen Worten zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Die amtliche Nachrichtenagentur Belta zitierte ihn am Montag mit den Worten, er stimme einer Änderung der Verfassung und einer Umverteilung der Machtverhältnisse zu - allerdings nicht auf Basis von Protesten auf der Straße. Die Nachrichtenagentur RIA berichtete zudem, Lukaschenko stimme Neuwahlen zu, sobald eine neue Verfassung in Kraft sei. Zuvor hatte Lukaschenko dies vehement abgelehnt.

In Belarus (Weißrussland) haben sich die Proteste gegen Lukaschenko auch den neunten Tag in Folge fortgesetzt. Am Montag gingen Tausende Fabrikarbeiter auf die Straße, Hunderte Demonstranten blockierten die Zentrale des Staatsfernsehens. Lukaschenko ließ sich per Hubschrauber in eine Fabrik fliegen, doch die Arbeiter buhten ihn aus. „Verschwinde!“, riefen sie ihm zu.

Lukaschenko hatte die Präsidentenwahl vom 9. August nach Angaben der Wahlkommission mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen, während Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja nur zehn Prozent erhielt. Viele halten dies aber für glatten Betrug. Die täglichen Proteste dagegen sind trotz des brutalen Vorgehens der Polizei und mehr als 7000 Festnahmen immer größer geworden. Allein am Sonntag forderten etwa 200.000 Menschen den Rücktritt des seit 26 Jahren regierenden Präsidenten.

Angesichts von Streiks besuchte Lukaschenko ein Traktorenwerk. Er spielte die Arbeitsniederlegungen herunter. „150 (Menschen) in einer Fabrik, sogar 200 machen keinen Unterschied“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Er werde vor Druck nicht klein beigeben. „Es wird keine Neuwahlen geben, nur über meine Leiche“, rief er.

Währenddessen versammelten sich draußen Tausende Arbeiter anderer Fabriken und riefen „wir sind keine Schafe, wir sind Menschen“. Etwa 5000 Arbeiter eines anderen Traktorenwerks zogen durch Minsk und verlangten, dass Lukaschenko sein Amt an Tichanowskaja abgibt, die sich vergangene Woche nach Litauen abgesetzt hatte - nach Angaben ihres Wahlkampfteams erzwungenermaßen. „Lukaschenko ist ein früherer Präsident. Er muss gehen“, sagte Sergej Dylewski, der Anführer der Proteste im Traktorenwerk, der Nachrichtenagentur AP. „Sweta ist unsere Präsidentin - legitim und vom Volk gewählt.“

Die Medienplattform Tut.By berichtete, dass auch Arbeiter von Belaruskali, einer der weltweit größten Hersteller von Kaliumkarbonat, mit dem Ausstand drohten. Der Staatskonzern ist einer der größten Beschaffer von Devisen für das abgeschottete Land.

Tichanowskaja erklärte, sie wolle eine Wiederholung der Wahl ermöglichen. Dafür müssten neue Gesetze erlassen und Voraussetzungen geschaffen werden. „Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen und als nationale Anführerin aufzutreten, um das Land zu beruhigen“, sagte die 37-Jährige in einem Video. Alle politischen Gefangenen müssten freigelassen werden. Tichanowskajas führende Mitstreiterin Maria Kolesnikowa sagte auf einer Kundgebung: „Nur der Rücktritt des früheren Präsidenten (Lukaschenko) wird die Nation beruhigen.“

EU-Ratspräsident Charles Michel berief für Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung der Europäischen Union zur Präsidentschaftswahl in Belarus ein. „Die Menschen von Belarus haben das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihren Anführer frei zu wählen. Gewalt gegen Demonstranten ist inakzeptabel und kann nicht erlaubt werden“, twitterte Michel. Zuvor hatte die EU bereits Sanktionen auf den Weg gebracht.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief Lukaschenko zu Gesprächen statt Gewalt auf und appellierte an das belarussische Militär, es solle „sich nicht durch Gewalt gegen das eigene Volk versündigen“.

Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Freitag erklärt, dass die Wahlen vom 9. August weder frei noch fair gewesen seien. Sie weigerten sich, die von der Wahlkommission genannten Ergebnisse anzuerkennen.

(peng/dpa/Reuters)
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