Süße Spezialität aus Nordamerika Hochsaison für Sirupkocher

Knowlesville · Wenn nachts noch Minusgrade herrschen und tagsüber erste Plusgrade, erwachen die Bäume. Dann beginnt in Kanada die Ahornsirupernte.

 Für Duane und Steve, beide schon fast 70 Jahre alt, ist die Ahornsirup-Saison der Höhepunkt des Jahres. Hier füllen die beiden erfahrenen Sirupkocher das fertige Produkt in Fässer um. 

Für Duane und Steve, beide schon fast 70 Jahre alt, ist die Ahornsirup-Saison der Höhepunkt des Jahres. Hier füllen die beiden erfahrenen Sirupkocher das fertige Produkt in Fässer um. 

Foto: Uta Nabert

Die Bäume sind erwacht, und das raubt ihnen den Schlaf, den Farmarbeitern im kanadischen Knowlesville. Die Ahornsirupernte hat begonnen. Die 20 Mitarbeiter der „Canadian Organic Maple Company“ sind nun im Dauereinsatz – wenn es sein muss, bis zu 15 Stunden am Tag. Sie sind zuständig für ein Gebiet, das so groß ist wie 1700 Fußballfelder und auf dem 240.000 Bäume stehen. Es ist die größte Bio-Ahornsirupfarm der Welt, sagen sie. Unablässig rauscht jetzt der Saft der Bäume durch regenrinnengleiche Rohre in den Keller der Zuckerhütte, dem Herz des Unternehmens. Das taubenblaue Holzgebäude mit den weißen Toren steht mitten im Wald.

Und hier, in gut 30 Kilometern Entfernung vom Trans-Canada-Highway 2, herrscht heute wieder Hochbetrieb: Zwei Mann halten die Stellung am Verdampfer, in dem sie den Saft der Ahornbäume zu Sirup verkochen. Ein Arbeiter steht im Keller und beobachtet, wie die Flüssigkeit aus dem Wald durch Rohre in Edelstahlbecken rauscht. Ein weiterer arbeitet an der Pumpstation. Seine Kollegen verbinden die letzten Bäume mit dem Leitungssystem. Zwei Teams fahren mit dem Schneemobil raus ins Gehölz und überprüfen, ob es Löcher gibt in den Rohren und Schläuchen.

Ahornsirup wird gezapft. Genauer gesagt: der Saft, der ab dem Frühling wieder durch die Stämme der Ahornbäume fließt. Dann, wenn die Temperaturen nachts noch unter Null liegen und am Tage die ersten Plusgrade herrschen. Die Wurzeln nehmen wieder Wasser auf, in den Zellen gespeicherte Zuckermoleküle werden mobilisiert, die Blätter beginnen zu sprießen. Dann beginnt in Kanada und in den USA die Ernte. Dann plätschert es in Wäldern, in denen weit und breit kein Bach zu sehen ist; dafür Schläuche, die sich auf Brust- manchmal auf Kniehöhe, hügelabwärts durch den ganzen Wald ziehen. Durch dieses ausgeklügelte System wird die Flüssigkeit mit Hilfe von Schwerkraft in Kombination mit Pumpen raus aus den angezapften Stämmen zu tiefer gelegenen Zwischenstationen und von dort aus durch Rohre ihrem Ziel hin zugeleitet, der Zuckerhütte.

Wer in die Halle mit dem Verdampfer kommt, den empfängt ein süßer Duft. Nicht lieblich, nicht süßlich. Süß. Betörend süß. Es riecht wie auf dem Weihnachtsmarkt, wenn man sich der Bude mit den gebrannten Mandeln nähert. Zak Hargrove kommt herein. Mit vor Müdigkeit roten Augen schaut er zwei Mitarbeitern über die Schulter, die gerade den fertigen Sirup in Fässer abfüllen. Der Besitzer der Farm ist jetzt überall und nirgends, schaut, ob es irgendwo Probleme gibt und experimentiert gerade mit neuen Ideen für den deutschen Markt: Er versetzt Teile des ersten frisch gekochten Sirups mit Fruchtextrakten von Blaubeere, Apfel und Cranberry.

Das Ergebnis steht in Flaschen auf dem Tisch, als seine Mitarbeiter am Abend in die Gemeinschaftsküche kommen. Eine der Frauen im Team, Kelly, rührt Teig für Pfannkuchen an. Ihre Kollegin Valerie nimmt sich in der Zwischenzeit einen Löffel und probiert die Neukreationen ihres Chefs. „Hmm, am liebsten ist mir immer noch der pure Sirup“, sagt sie und gießt ihn eine halbe Stunde später über die fertigen Pfannkuchen.

„Es soll heiß werden heute, zehn Grad“, sagt Kelly am nächsten Morgen. „Das heißt, es wird viel zu tun geben.“ Im Grunde hängt derzeit alles von den Bäumen und der Außentemperatur ab: wann der Saft am Tag zu fließen beginnt, wieviel davon fließt und wie lange. Sobald am Morgen die ersten Plusgerade erreicht sind, wird es wieder plätschern im Wald. Und rauschen im Keller der Zuckerhütte. „Wir sammeln den Saft, dann leiten wir ihn durch Filter“, erklärt Devin, der für die ersten Verarbeitungsschritte zuständig ist. Später pumpt er ihn in eine Maschine hinein, die alle die „RO“, die „Reverse Osmosis“ nennen. Hier werde dem Saft mit Hilfe weiterer Filter und Druck bis zu 80 Prozent des Wassers entzogen. Schmeckte der transparente Saft vor der „RO“ wie gezuckertes Leitungswasser, ist er danach deutlich süßer.

Devin spricht nun von einem Konzentrat; es ist ein wenig trüber als der ursprüngliche Saft. Er entnimmt ihm eine Probe, die er in ein Messgerät tropft. „18“, liest er von der digitalen Anzeige ab. „Das ist ok.“ Er nickt. „Hier unten kann ich den Saft bereits auf einen Zuckergehalt von 18 bis 30 Prozent bringen. Je nachdem müssen ihn die Jungs oben länger oder weniger lange kochen.“

Und die Jungs, Duane und Steve, reiben sich schon die Hände. „Wir liefern uns ein Wettrennen mit Devin“, sagen die beiden alten Knaben, die kurz vor ihrem 70. Geburtstag stehen und einfach nicht aufhören wollen zu arbeiten. Steve ist das ganze Jahr über auf der Farm, Duane kommt für die Ernte rein. Sie sagen: „Wir arbeiten gerne für Zak, und der Doktor sagt, wir dürfen noch.“ Sie sind am Verdampfer angetreten, um das Ahornsaftkonzentrat in dickflüssigen Sirup zu verwandeln. Das edelstahlglänzende Ungetüm vor ihnen läuft auf Hochtouren. Es ist eine Art rechteckiger schulterhoher Kessel, in dem der Sirup brodelt, mit einer ebenso großen Abzugshaube darüber, durch die der Dampf verschwindet.

Plötzlich ruft Duane etwas durch den Lärm, er winkt mit der Hand und gibt Steve ein Zeichen. Der schließt schnell den Hahn, aus dem eben noch brauner Sirup gesprudelt kam. Devin im Keller kommt nicht hinterher, und den beiden hier oben geht der Saft aus. Die Pause nutzt Steve, um dem Ahornsirupkessel eine Probe zu entnehmen. Er steckt ein thermometerähnliches Instrument hinein und misst den Zuckergehalt. „66,4 Prozent. So soll es sein.“

Dem Sirup werde nichts hinzugefügt, versichert er. Einzig und allein komme für die letzten Minuten sogenanntes Kieselgur hinein, ein weißes Pulver aus zerriebenen fossilen Kieselalgen. „Das bindet feinsten Sand, der jetzt noch im Sirup ist, und wenn wir ihn gleich ein letztes Mal filtern, bleibt das Kieselgur gemeinsam mit ihm in den Filterplatten hängen.“ Doch woher kommt der Sand? „Nun“, erklärt Duane, „die Bäume haben ihn über die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen.“

Danach ist der Sirup fertig. Nun ist er dickflüssig, bernsteinbraun und schmeckt nicht einfach nur süß, sondern leicht nussig, wie geröstet. Durch das Verkochen ist der Zucker karamellisiert. Seit der Ankunft des Saftes unten im Keller sind nur wenige Stunden vergangen, doch im Grunde steckt die Arbeit vieler Monate im Endprodukt. Zehn Arbeiter beschäftigt Zak rund ums Jahr, zehn weitere während der Saison. Sie zapfen vor der Ernte die Bäume an, entfernen danach die Kanülen aus den Stämmen oder reinigen das Schlauchsystem. Tag für Tag schwärmen sie von der Zuckerhütte aus in den Wald – im Sommer auf geländegängigen Fahrzeugen, jetzt im Winter auf Schneemobilen.

Bis zu fünf Kilometer nach Westen und Osten, je bis zu drei Kilometer gen Norden und Süden. Sie sind zuständig für ein insgesamt 3000 Kilometer langes Rohr- und Schlauchsystem. Einen Großteil davon mussten sie vor ein paar Wochen aus dem meterhohen Schnee ausgraben, damit der hindurchfließende Saft nicht einfriert. Sirup zu ernten, erklärt die Helferin Kelly, sei eine Arbeit auf Schneeschuhen.

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