Rede zur Lage der Nation im Wahlkampf Barack Obama und das Fairplay

Washington · Mitten in den Vorwahlkampf der US-Republikaner tritt der demokratische Präsident Barack Obama ins Rampenlicht: Die jährliche Rede zur Lage der Nation gibt ihm am Dienstag nicht nur die Gelegenheit, vor einem Millionenpublikum neue Initiativen vorzustellen, sondern sich den Wählern auch für eine zweite Amtszeit zu empfehlen. Es soll eine Schlüsselrede werden.

US-Präsident Barack Obama wird 50
18 Bilder

US-Präsident Barack Obama wird 50

18 Bilder

Neulich war er in Orlando, in der bunten Welt Disneylands. Um für die Tourismusbranche zu werben, nicht um "mit Mickey Mouse rumzuhängen", wie er hinterher witzelte, auch wenn seine Töchter Malia und Sasha Letzteres sicher besser gefunden hätten.

Im Apollo-Theater in Harlem, der legendären Talentebühne der Afroamerikaner, hat er sich sogar breitschlagen lassen, ein paar Zeilen zu singen — "I, I'm so in love with you". So gelöst, so aufgekratzt hat man Barack Obama lange nicht mehr erlebt.

Und dennoch nahm kaum einer davon Notiz. So fotogen die Kulisse auch war, alles wurde überschattet vom Vorwahlkrimi der Republikaner. Am Dienstag (Ortszeit) wird sich das ändern. Dann bietet sich dem Staatschef die Chance, das Rampenlicht zurückzugewinnen, wenn auch nur für ein paar Stunden. Vor beiden Häusern des Kongresses hält er, wie jedes Jahr im Januar, die Rede zur Lage der Nation.

Nach alter Tradition wird der Auftritt begleitet von Ritualen überparteilicher Harmonie, von übertrieben freundlichem Händeschütteln und Schulterklopfen, wenn der Staatschef durch die schmale Schneise zwischen den Abgeordnetenbänken zum Rednerpult läuft.

Mancher Oppositionspolitiker stellt dabei enormes schauspielerisches Talent unter Beweis, und diesmal wird es besonders gekünstelt wirken. In Wahrheit blockieren Demokraten und Republikaner einander fast nur noch im Parlament. Und Obama nutzt das Hohe Haus als Wahlkampfbühne.

Mit Blick auf das Präsidentschaftsvotum im November möchte er erste Pflöcke einschlagen. Es geht um Trennlinien, weniger um Verbindendes. Der Demokrat will kontrastreich herausstellen, worin er sich unterscheidet von seinen konservativen Rivalen, egal, ob nun Mitt Romney oder Newt Gingrich gegen ihn antreten werden.

Tags darauf fliegt er gen Westen, um die Reklametrommel zu rühren, nach Nevada, Colorado, Iowa. Nicht zufällig sind es allesamt "Swing States", politisch hochwichtige, hochsensible Bundesstaaten, in denen die Wählergunst hin- und herpendelt zwischen den beiden großen Parteien.

Kurzum, der Präsident präsentiert sich als Mann der Mitte, als Beschützer krisengebeutelter Normalverdiener, dessen Wirtschaftspolitik "für alle funktioniert, nicht nur für ein paar Wohlhabende". Die Botschaft seiner Rede hat er, durchaus üblich in Washington, bereits vorab in wenigen Sätzen gebündelt und per Video kursieren lassen. Der rote Faden: Fairplay. Was er anstrebe, sei "ein Amerika, wo jeder seine faire Chance bekommt, jeder seinen fairen Beitrag leistet und alle nach denselben Regeln spielen".

Die Broker der Wall Street, steht zwischen den Zeilen, können nicht ewig auf Privilegien bauen. Die Wohlhabendsten sollen anstelle der Niedrigsätze der Ära George W. Bush endlich höhere Steuern zahlen, damit das Haushaltsdefizit abgebaut werden kann. Und selbst wenn der Name Romney nicht fällt: Der schwerreiche Sanierer, der nur ungefähr 15 Prozent seines Einkommens beim Fiskus abliefert, dient als Symbol für die Irrwege marktradikalen Denkens.

Der Staat, betonte Obama kürzlich vor New Yorker Spendern, habe in der Geschichte der USA oft eine wichtige Rolle gespielt. Ohne den Staat wäre am Erie-Kanal, im 19. Jahrhundert ein Meilenstein der Industrialisierung, nie der erste Spatenstich erfolgt.

Ohne staatliches Zutun gäbe es keine Autobahnen und keine G.I. Bill, mit deren Hilfe heimgekehrte Soldaten nach dem 2. Weltkrieg studieren und auf diese Weise einen immensen Bildungsschub auslösen konnte. Dass die Republikaner so abfällig über den Staat sprächen, zeige nur, wie sehr sie nach rechts gerückt seien.

Es gehe, sagen Berater im Weißen Haus, um die Wiederherstellung der Balance, zugunsten produktiver Branchen, auf Kosten von Geschäftsleuten, die nur mit Geld jonglieren. Die schwächelnde amerikanische Exportindustrie soll wieder wettmachen, was sie in den letzten 20 Jahren gegenüber Nationen wie China und Deutschland an Boden verlor.

Obama will Peking auffordern, seine Währung weiter aufzuwerten, damit der Handel ausgeglichener wird. Eine härtere Gangart gegenüber dem Reich der Mitte — zumindest in diesem Punkt ist er sich mit den Konservativen weitgehend einig.

(csr)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort