Auf der Suche nach Frieden Kameruns vergessene Krise

Jaunde · Seit drei Jahren kämpfen separatistische Gruppen für eine Loslösung der englischsprachigen Provinzen vom Zentralstaat. Ein Ende des blutigen Konflikts ist nicht in Sicht.

Zerstörte Schulen und Krankenhäuser, verbrannte Dörfer, mehr als 3000 Tote, eine halbe Million Vertriebene und Kinder, die seit drei Jahren nicht zur Schule gehen – das ist die Bilanz eines Konfliktes in Kamerun, der in Europa kaum wahrgenommen wird. Rund 25 Millionen Einwohner hat das Land in Zentralafrika, dessen Umrisse aussehen wie ein Känguru. Das Land vereint Halbwüste und Regenwald, tropisches und überwiegend trockenes Klima und hat über 250 Ethnien – viele nennen Kamerun daher „Afrika in Miniatur“. Das Land galt lange als Stabilitätsanker in einer politisch unsicheren Region.

Das ändert sich indes gerade: Im Norden verübt die islamistische Terrororganisation Boko Haram Selbstmordanschläge, im Osten ist die Sicherheitslage an der Grenze zur krisengeschüttelten Zentralafrikanischen Republik angespannt. Und seit drei Jahren kämpfen separatistische Gruppen für eine Loslösung der englischsprachigen Provinzen vom Zentralstaat. Der Norwegische Flüchtlingsrat führt diese Unruhen an der Spitze seiner Liste der vergessenen Krisen.

Rückblick: Vor drei Jahren, am 12. Oktober 2016, riefen in den anglophonen Regionen Nordwest und Südwest Anwälte und Lehrer zu einem Streik gegen ein System auf, das in ihren Augen die anglophonen Landesteile benachteiligt. Sie forderten, wichtige Gesetzestexte auch ins Englische zu übersetzen und Englisch als Unterrichtssprache zu erhalten. Etwa ein Fünftel der Kameruner gehört der englischsprachigen Minderheit an.

Als Reaktion schickte die Regierung Truppen los und sperrte monatelang das Internet. Parallel dazu bemühte sie sich vordergründig um Deeskalation. Jedoch gingen diese halbherzigen Anstrengungen einher mit Verhaftungen und Einschüchterungen durch die Sicherheitskräfte. Einer der wichtigsten Vertrauten des Präsidenten deklarierte sogar, es gebe gar kein „anglophones Problem“; die Demonstranten seien nur Wichtigtuer, die mit Geld aus dem Ausland manipuliert würden.

 Der Anwalt Félix Agbor Balla fordert mehr Föderalismus.

Der Anwalt Félix Agbor Balla fordert mehr Föderalismus.

Foto: Dirke Köpp

Die Ursprünge des Konflikts reichen bis ans Ende der deutschen Kolonialzeit zurück: Nach dem Ersten Weltkrieg ging das deutsche Kolonialgebiet an den Völkerbund über; der Westen Kameruns wurde von den Briten verwaltet, der Osten von den Franzosen. Nach der Unabhängigkeit stimmten die Menschen für eine Vereinigung.  Theoretisch sind Französisch und Englisch seitdem Amtssprachen – in der Praxis aber spielt Französisch die Hauptrolle. Ein Jahr nach den ersten Streiks riefen separatistische Gruppen in Nordwest und Südwest am 1.Oktober 2017 die unabhängige „Republic of Ambazonia“ aus. Das Datum ist symbolisch: Denn der 1. Oktober ist der Tag, an dem 1961 die beiden Teile Kameruns vereinigt wurden.

Der Konflikt wurde zunehmend brutaler. Junge Männer, sogenannte Amba-Boys, kämpfen im Busch gegen die Armee. Dabei werden Schulen, Krankenhäuser, ganze Dörfer niedergebrannt, es wird gemordet, eingeschüchtert, entführt. Menschenrechtler werfen Separatisten und Armee gravierende Menschenrechtsverletzungen vor. Schätzungen zufolge gibt es zwischen 200 und 2000 Amba-Boys. Sie teilen sich in konkurrierende Gruppen auf, die meist aus der Diaspora, in den USA und Norwegen, geführt werden. Doch auch die Regierung soll eine Miliz unterhalten.

„Die Gründe für die Krise liegen in der schlechten Regierungsführung“, erläutert Kardinal Christian Tumi, eine der wichtigsten religiösen Stimmen im Land. „Die Menschen werden nicht an Entscheidungen beteiligt.“ Das politische System Kameruns ist zentralistisch: Entscheidungen fallen in der Hauptstadt Jaunde, Geld wird von dort aus verteilt. Dezentralisierung ist daher eines der Schlüsselwörter der Krise. Theoretisch ist sie seit 1996 in der Verfassung verankert. Praktisch aber blieb alles beim Alten.

Andere fordern Föderalismus, darunter der anglophone Anwalt Félix Agbor Balla. Er gehörte 2016 zu denen, die den Protest auslösten. Er fordert, man müsse die Möglichkeit eines föderalen Staates besprechen: „Sonst werden wir keine Lösung finden.“

 Die Politikerin Edith Kahbang Walla bittet Deutschland um Hilfe.

Die Politikerin Edith Kahbang Walla bittet Deutschland um Hilfe.

Foto: Dirke Köpp

Erst im September 2019 rief Kameruns Präsident Paul Biya zu einem nationalen Dialog auf. Zuvor hatte es Vermittlungsinitiativen aus der Schweiz und von der Kirche gegeben. „Die Regierung hat diesen Dialog nur angekündigt, weil sie Angst hatte, dass andere ihr die Zügel aus der Hand nehmen“, sagt die Oppositionspolitikerin Edith Kahbang Walla. „Sie wollte einen Dialog, bei dem sie alles kontrolliert: Datum, Tagesordnung, Teilnehmer – und ich bin sicher – auch schon die Ergebnisse!“

Das Vertrauen der Kameruner in Staatschef Paul Biya ist gering. Das liegt auch daran, dass der 86-jährige Biya seit 1982 alle Wahlen gewonnen hat. Selbst 2018, als die anglophone Krise alles überschattete, siegte er mit 71 Prozent. Seinem Gegenkandidaten droht wegen des Vorwurfs der Rebellion die Todesstrafe.

Führende Separatisten waren beim Dialog diese Woche nicht anwesend; sie sitzen in Haft oder im Ausland. Sie nennen den Dialog „Verschwendung von Zeit und Steuergeldern“. Viele von ihnen fürchten, verhaftet zu werden. Zwar wurden beim Dialog einige junge Leute präsentiert, die angeblich noch kurz zuvor im Busch gekämpft hatten. Doch dass diese in den kamerunischen Nationalfarben auftraten, die Nationalhymne sangen und Frieden forderten, war wohl doch etwas dick aufgetragen.

Die größte Gefahr ist, dass der Konflikt sich verstetigt. Banditen könnten den anglophonen Westen auf Jahre unsicher machen. Der Osten der Demokratischen Republik Kongo zeigt, wohin es führt, wenn ein Konflikt vernachlässigt wird: Dort terrorisieren seit Jahrzehnten räuberische Milizen die Bewohner. Ihre politischen Ambitionen sind nur noch vorgeschoben.

Günter Nooke, Afrika-Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat sich in Kamerun ein Bild der Lage gemacht. Deutschland investierte zwischen 2017 und 2019 rund 150 Millionen Euro in dem Land. Für 2019 haben wegen der Krise noch keine Regierungsverhandlungen stattgefunden. Bei einem Treffen mit einem Regierungsvertreter unterstrich Nooke, dass weitere Hilfe von den Erfolgen des Dialogs abhängt. „Von Deutschland kommt nicht nur Geld, sondern es gibt auch eine klare Erwartungshaltung, dass dieser Konflikt gelöst wird und es zumindest einen Waffenstillstand gibt. Alle, die für Unabhängigkeit kämpfen, müssen ihre Waffen abgeben, und die Regierung muss die Gefangenen freilassen“, so Nooke. Das hat die Regierung in der Hauptstadt Jaunde am Donnerstag angekündigt: Präsident Paul Biya will 333 Menschen begnadigen, die im Zuge der Krise verhaftet wurden. Wichtige Separatistenführer sind jedoch nicht unter den Begnadigten.

Im Abschluss-Kommuniqué des Dialogs hieß es, die Dezentralisierung solle mit großen Schritten vorangehen. Viele sind skeptisch, verweisen auf die Verfassung von 1996, in der bereits alles vermerkt ist. „Wir hoffen, dass Deutschland darauf achtet, dass die Ergebnisse des Dialogs umgesetzt werden“, sagt Kardinal Christian Tumi. Und die Oppositionelle Kah Walla erwartet, dass Deutschland eine UN-Untersuchung in den betroffenen Regionen anregt. Nur so könnten die Menschenrechtsverletzungen geahndet werden.

Die Autorin leitet die Redaktion Französisch für Afrika der Deutschen Welle in Bonn.

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