Nukleare Bedrohung Selenskyj sollte Russland keine Atom-Vorlagen bieten

Meinung | Düsseldorf · Der ukrainische Präsident hat sich gegenüber australischen Experten zu Präventivschlägen geäußert. Das nutzt Russland umgehend, Selenskyj den Ruf nach einem „Drittem Weltkrieg“ zu unterstellen. Das ist infam. Warum auch verbale Eskalation gerade so gefährlich ist.

 Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Foto: dpa/Ukrainian Presidential Press Off

Es ist schwer, sich in die Lage eines Präsidenten zu versetzen, dessen Land unmittelbar von russischen Atomwaffen oder russischen Geheimdienstaktionen an Atomkraftwerken bedroht ist. Das ist zu bedenken, wenn es um die jüngsten Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geht. Vor australischen Experten hat er in der gerade so angespannten Lage von Präventivschlägen gesprochen. Die Nato müsse die Möglichkeit eines russischen Atomwaffeneinsatzes verhindern – notfalls mit Präventivschlägen. Weiter soll Selenskyj bei seinem Auftritt vor dem Lowy Institut gesagt haben: „Wichtig ist aber – ich wende mich wie vor dem 24. Februar deshalb an die Weltgemeinschaft – dass es Präventivschläge sind, damit sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie sie anwenden.“ Er betonte: „Nicht umgekehrt: Auf Schläge von Russland warten, um dann zu sagen: Ach, du kommst mir so, dann bekommst du jetzt von uns.“

Solche Äußerungen in der gegenwärtigen Lage, egal wie sie gemeint waren, sind gefährlich und strategisch unklug. Da nützt es auch nichts, dass die ukrainische Regierung sofort betont, Selenskyj sei falsch verstanden worden. Der Hinweis auf den 24. Februar erklärt vielleicht, was Selenskyj dazu gebracht hat, sich zu Präventiv-Äußerungen im nuklearen Kontext hinreißen zu lassen. Die Ukraine hat nun mal schon bitter erfahren, dass ihre Mahnungen und Warnungen nicht gehört wurden. Das Land hat einen Angriff erlebt, den es kommen sah, vor dem es gewarnt hat, auf dessen offensichtlichen Vorbereitungen der Westen nicht reagiert hat. Und nun leidet die Ukraine in einem verheerenden Krieg. Selenskyj will nicht auch noch einen Atomschlag erleben und hinterher sagen müssen, dass er es doch kommen sah. Das ist alles verständlich.

Doch kann es bei Atomwaffen eben keine „vorbeugenden Maßnahmen“ geben, die dem Gegner eine Lehre sein könnten. Oder etwas Schlimmeres verhindern würden. Atomwaffen lassen sich nicht als Warnung einsetzen. Jeder kleinste Schlag setzt das Gleichgewicht des Schreckens und der Abschreckung außer Kraft und macht die Katastrophe möglich. Es ist schon verwerflich, dass Russland durch seine wiederholten Drohungen mit Atomwaffen das Tabu gebrochen hat, mit nuklearen Schlägen zu erpressen. Verbal hat Russland schon maximal eskaliert. Und ist die Drohung erst oft genug ausgesprochen, sinkt auch die Schwelle für Taten. An diesem Spiel sollte sich die Ukraine auf keinen Fall beteiligen – auch aus eigenem Interesse. Schon jetzt nutzt Russland die jüngsten Äußerungen Selenskyjs, um nun ihrerseits der Ukraine das Anzetteln eines „Dritten Weltkriegs“ in die Schuhe zu schieben. Das ist bösartig und verdreht die Tatsachen, aber es war zu erwarten. Solche Vorlagen sollte die Ukraine also nicht noch einmal liefern.

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Foto: United States Air Force

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine fällt eine Hürde des Undenkbaren nach der anderen. Wer hätte gedacht, dass die Gefahr eines Atomkriegs in Europa derart real und ernsthaft werden könnte wie derzeit. Das muss zu maximaler Zurückhaltung führen. Nicht, was Aussagen zur Reaktion auf einen Erstschlag angeht. Dass der Westen den Einsatz nuklearer Waffen nicht hinnehmen würde, muss klar sein. Aber dazu hat der amerikanische Präsident in aller Deutlichkeit alles gesagt. Wer nukleare Waffen einsetzt, muss wissen, was ihm blüht. Aber diesen ersten Schritt zu tun, muss maximal geächtet bleiben. Auch verbal.

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