Armenien Opposition legt öffentliches Leben lahm

Eriwan · Zehntausende demonstrierten für ihn, doch im Parlament erleidet der Oppositionspolitiker Paschinjan eine Niederlage. Die Anhänger von Armeniens Protestführer wollen nun das ganze Land blockieren.

 Unter dem Druck andauernder Straßenproteste trat Ministerpräsident Sersch Sargsjan am 23. April zurück.

Unter dem Druck andauernder Straßenproteste trat Ministerpräsident Sersch Sargsjan am 23. April zurück.

Foto: AP

Zehntausende demonstrierten für den Oppositionspolitiker Paschinjan, doch im Parlament erleidet dieser eine Niederlage. Die Anhänger von Armeniens Protestführer wollen nun das Land blockieren.

Für seine Anhänger hatte der armenische Oppositionsführer Nikol Paschinjan am Mittwoch eine besondere Botschaft: "Wir werden mit unserem Streik und unserem Widerstand weitermachen", rief er ihnen zu. Zuvor hatte er seine Gefolgsleute aufgefordert, in der ganzen Südkaukasusrepublik zivilen Ungehorsam zu üben. Seine Anhänger, meist junge Leute, kamen der Aufforderung gerne nach. Schon am frühen Morgen blockierten sie die zentralen Boulevards sowie Aus- und Einfallstraßen in die Hauptstadt Eriwan. Auch Eisenbahnlinien und der Flugverkehr wurden lahmgelegt.

Hass war nicht zu erkennen

Die Stimmung unter den Protestierenden hätte nicht besser sein können. Mit 28 Grad im Schatten hatte der Sommer schon Einzug gehalten. Junge Leute lachten, tanzten und sangen auf den Straßen. Armeniens Trikolore diente Kindern als Sonnenschutz. In der Provinz drangen die Demonstranten in Rathäuser und Lokalverwaltungen ein und forderten Angestellte auf, sich ihnen anzuschließen. Hass war unter den Demonstranten nicht zu erkennen.

Auch in Eriwan marschierte Paschinjan einer mehrtausendköpfigen Gruppe voran. Am Abend sollten alle Blockaden wieder aufgehoben werden. Der Volkstribun demonstrierte damit, dass die Anhänger hören auf sein Wort und verfügen nach Wochen der Proteste noch über unerschöpfliche Energien. Inzwischen geht es in der Kaukasusrepublik um nichts Geringeres als einen Systemwechsel. Doch Angst scheinen die Demonstranten nicht zu haben - wie Nikol Paschinjan.

Am Dienstag hatte sich der Oppositionspolitiker um den Posten des Ministerpräsidenten im armenischen Parlament beworben. Doch das Parlament lehnte Paschinjan als neuen Ministerpräsidenten ab. Er war der einzige Kandidat für diesen Posten. Die regierende Republikanische Partei hatte darauf verzichtet, einen eigenen Bewerber zur Wahl aufzustellen. Sie kündigte allerdings nach mehr als acht Stunden Anhörung und Debatte an, den Oppositionspolitiker nicht unterstützen zu wollen. Beim anschließenden Wahlgang erhielt Paschinjan 45 Für- und 55 Gegenstimmen.

Es fehlen acht Stimmen

Paschinjan verfügt im Parlament über neun Stimmen. Eine Reihe kleinerer Parteien hatte ihm im Vorfeld Unterstützung zugesagt. Gleichwohl fehlen dem Oppositionellen nach wie vor acht Stimmen für eine einfache Mehrheit der insgesamt 103 Abgeordneten.

Die Verweigerung traf ihn nicht unvorbereitet. Unmittelbar vor der Parlamentssitzung hatte er darauf verwiesen, dass die Ex-Präsidenten Sersch Sargsjan und Robert Kotscharjan beabsichtigten, "die Macht wieder zu übernehmen". Daraufhin rief er seine Anhänger auf, sich "den Sieg nicht wieder stehlen" zu lassen.

Drei turbulente Protestwochen waren der Abstimmung vorausgegangen, in denen es der Opposition gelangen war, den ehemaligen Präsidenten und gerade erst neu ins Amt des Ministerpräsidenten gewählten Sargsjan zum Rücktritt zu zwingen. Die Lage nach der gescheiterten Wahl ist seither unübersichtlich. In einer Woche könnte ein zweiter Wahlgang stattfinden. Sollte auch dieser fehlschlagen, müsste eine Neuwahl ausgeschrieben werden. Paschinjan ließ bisher offen, ob er nochmals antritt.

Verfassungsrechtliche Mauscheleien hatten es Sargsjan ermöglicht, vom Präsidentenamt auf den Posten des Ministerpräsidenten zu wechseln, den er vorher mit den weitreichenden Kompetenzen des Präsidenten hatte ausstatten lassen. Die Wähler reagierten auf die Herrschaftsverlängerung mit anhaltenden Massenprotesten. Sargsjan ist auch Vorsitzender der Republikanischen Partei, die mit 58 von 103 Abgeordneten über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt.

"Kandidat des Volkes"

Paschinjan hatte sich als "Kandidat des Volkes" eingeführt und forderte das Amt des Ministerpräsidenten seit den Protesten für sich ein. In einer Übergangsperiode sollten zunächst neue Wahlgesetze erarbeitet und dann eine Neuwahl abgehalten werden. In der Sondersitzung des Parlaments drohte Paschinjan: Sollte er nicht gewählt werden, stünde dem Land ein "politischer Tsunami" bevor. Er warnte die Regierungspartei, die "Nachsicht des Volkes nicht mit Schwäche zu verwechseln". Anstatt die richtigen Schlüsse aus den Massenprotesten der vergangenen Wochen zu ziehen, spiele die Republikanische Partei immer noch Katz und Maus, sagte er.

In Armenien lebt ein Drittel der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums. Paschinjan versprach, Armut zu bekämpfen und gegen Korruption vorzugehen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist das Land unter Politikern und Oligarchen in Lehnwesen aufgeteilt worden. Auch das stellt der Oppositionelle nun infrage, gleichzeitig sicherte er aber auch zu, dass er weder Rache nehmen noch Eigentumsverhältnisse antasten wolle. Beobachter sehen darin einen taktischen Zug, um den Widerstand des Gegners nicht herauszufordern.

(RP)
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