Gedämpfte Hoffnungen Arafats Hirntod stürzt Nahen Osten in Ungewissheit

Ramallah (rpo). Das Leben von Palästinenserpräsident Jassir Arafat wird nur noch von Maschinen aufrecht erhalten. Der Hirntod des charismatischen Anführers lässt den Nahen Osten in eine ungewisse Zukunft blicken, hinterlässt auf palästinensischer Seite ein Machtvakuum.

Diese könnte jedoch letztlich Bewegung in den seit Jahrzehnten festgefahrenen Konflikt mit Israel bringen. Denn nichts hatte den heillos verhakten Konflikt in den vergangenen Jahren so sehr symbolisiert wie die erbitterte Feindschaft seiner Protagonisten: hier Arafat, dort Israels Regierungschef Ariel Scharon.

Eine Aussöhnung der beiden alten Männer schien undenkbar, zu tief waren Argwohn und Abneigung.

Palästinensische Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft versetzt

Die palästinensischen Sicherheitskräfte sind am Donnerstag in Alarmbereitschaft versetzt worden. Der Grund seien mögliche Unruhen im Fall, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat für tot erklärt werde, hieß es aus palästinensischen Sicherheitskreisen in Ramallah.

Der Alarmzustand sei bei einer Zusammenkunft des palästinensischen Innenressortchefs Hakam Balawi mit den Chefs der Sicherheitsdienste beschlossen worden. Bei Arafat wurde laut den behandelnden Ärzten in Paris, die nicht namentlich genannt werden wollten, bereits der Hirntod festgestellt. Von offizieller Seite wurde bisher betont, er sei noch am Leben.

Erzfeind von der großen Bühne verschwunden

Nun ist Israels Erzfeind von der großen Bühne verschwunden. Viel wird nun davon abhängen, wie die Palästinenserführung die Lücke füllen wird, die Arafat hinterlässt. Eine neues Team an der Spitze der palästinensischen Autonomiebehörde könnte den Druck auf Scharon erhöhen, wieder mit den Palästinensern ins Gespräch zu kommen.

"In den vergangenen Jahren schob Scharon Arafat als Alibi vor, um nicht in Verhandlungen mit den Palästinensern eintreten zu müssen", urteilt Politikberater Uri Saki, der Anfang der 90er Jahre an den Friedensverträgen von Oslo mitgewirkt hatte. "Nun, da Arafat von der Bildfläche verschwunden ist, hat Scharon sein Alibi verloren."

In Israel hoffen manche Beobachter, dass mit dem Abgang Arafats ein Hindernis auf dem Weg zu einer einvernehmlichen Friedenslösung beseitigt ist. "Die Situation könnte sich ändern, der Dialog könnte wiederaufgenommen werden, aber all das wird Zeit brauchen", glaubt Schlomo Avineri von der Hebräischen Universität Jerusalem.

Auch Professor Menahem Klein hofft auf eine Annäherung: "Vielleicht wird Scharon einen Partner finden, mit dem er den Abzug aus dem Gazastreifen aushandeln kann. Dann könnte er mit amerikanischer und europäischer Unterstützung zur Roadmap zurückkehren", sagt Klein.

Der Roadmap täte eine Wiederbelebung gut: Nach einer Serie von Selbstmordanschlägen im Sommer vergangenen Jahres hatte Scharon die Kontakte zur Palästinenserführung eingestellt. Er warf Arafat vor, nicht hart genug gegen die Terroristen vorzugehen. Der Friedensplan, der die Unterstützung von USA, EU, UNO und Russland genießt, liegt seither auf Eis. Kern des Plans ist, den Palästinensern bis kommendes Jahr einen eigenen Staat zu gewähren.

Noch als Arafat in Frankreich medizinisch behandelt wurde, sandte die israelische Regierung Signale an die Palästinenser. "Wenn eine gemäßigte Palästinenserführung das Ruder übernimmt, könnten wir mit ihr Details des Rückzugsplans ausarbeiten", sagte ein Mitarbeiter Scharons. Dies könne als "Teil der road map" verstanden werden.

Wer auf Arafat folgen wird, ist freilich unklar. "Das ist ohne Zweifel das Ende einer Ära und der Beginn einer Periode der Ungewissheit, weil Arafat keinen Nachfolger aufgebaut hat", sagt der ägyptische Zeitungskommentator Makram Mohammed Ahmed. Gemäß dem Grundgesetz der Autonomiebehörde rückt beim Tod des Präsidenten der Parlamentspräsident an die Spitze des Staates. Dies wäre derzeit Rawhi Fattuh, ein Gefolgsmann Arafats, der allerdings als schwache politische Figur gilt.

Innerhalb von 60 Tagen müssen dem Grundgesetz zufolge Wahlen abgehalten werden, um einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Unter den derzeitigen Bedingungen scheint das kaum machbar, schließliche sind große Teile des Gazastreifens und des Westjordanlands derzeit von israelischen Soldaten besetzt.

Seit Arafat am 29. Oktober zur Behandlung nach Paris ausgeflogen wurde, teilte sich zwei seiner Mitstreiter aus der alten Garde der PLO die Machtbefugnisse: der 67 Jahre alte Ministerpräsident Ahmed Kureia und sein zwei Jahre älterer Vorgänger Mahmud Abbas.

(afp)
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