Baerbock auf sensibler Visite in Georgien Grenzerfahrung einer Außenministerin

Tiflis · Annalena Baerbock besucht die Kaukausus-Republik Georgien, die in die EU strebt, aber auch Russland nicht ganz aus den Augen verlieren will. Nach jüngsten pro-europäischen Protesten im Land stellt sich die Frage: Auf wessen Seite steht die Regierung in Tiflis wirklich?

Unterstützt den EU-Beitrittswunsch Georgiens: Außenministerin Annalena Baerbock in Tiflis mit ihrem Amtskollegen Ilia Darchiashvili

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Annalena Baerbock ist jetzt an der Grenze. In doppelter Hinsicht. Grenzerfahrung eins aus der vergangenen Nacht hat sie hinter sich. Es ist 22.59 Uhr, als sich der Pilot im Regierungsairbus A340 beim Landeanflug auf die georgische Hauptstadt Tiflis zum Durchstarten entscheidet. Ein Manöver „im letzten Moment“, wie der Pilot später auf Lautsprecher durchgibt. Ein anderes Flugzeug habe sich noch auf der Landebahn im Ausrollen befunden. Um 23.21 Uhr setzt der Luftwaffen-Airbus beim zweiten Landeanflug dann sicher zur Landung auf. Willkommen in Tiflis. Für die deutsche Außenministerin steht militärisches Spalier parat.

Grenzerfahrung zwei erlebt Baerbock rund 15 Stunden später. Die deutsche Chefdiplomatin steht nun an einer Grenze, die es (eigentlich) gar nicht gibt: an der Verwaltungslinie zur Region Südossetien, die völkerrechtlich zu Georgien gehört, aber wo Russland bis heute Truppen stationiert hat. Im Örtchen Odzisi, wenige Häuser groß, hat die EU einen Posten ihrer Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstandes. Baerbock schnappt sich ein Fernglas: „Wohin ich muss ich gucken?“ Geradeaus. 1000 Meter entfernt ist ein Stützpunkt der Russen – einer von 19 russischen Militärposten in Südossetien. Unterkünfte, Lage, Maschinenhalle, Sendemast. Russland hatte 2008 einen Krieg gegen das kleine Land am Schwarzen Meer geführt und unterstützt die Regionen Südossetien und Abchasien. Damit kontrolliert Russland faktisch ein Fünftel des georgischen Territoriums – hohes Potenzial für Eskalation.

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Die Führung der heutigen Regierungspartei „Georgischer Traum“ in Tiflis muss gucken, wo sie das Land hinführen will. Georgischer Traum? Dazu gehört ein Beitritt der ehemaligen Sowjetrepublik zur Europäischen Union. Auch deswegen ist Baerbock nach ihrem Besuch am Donnerstag beim EU-Beitrittskandidaten Nordmazedonien direkt weiter nach Georgien gereist. Der Unterschied: Die Republik Nordmazedonien ist bereits EU-Beitrittskandidat, Georgien muss es erst noch werden. Doch dazu muss die Regierung in Tiflis einen Zwölf-Punkte-Plan der EU erfüllen, wonach die Oligarchen des Landes entmachtet, die Organisierte Kriminalität bekämpft, eine unabhängige Justiz aufgebaut und Pressefreiheit gewährleistet werden müssen. Georgischer Traum? Tatsächlich wollte die Regierungspartei vor Wochen ein Gesetz durch das Parlament peitschen, durch das ausländische Medien und Nichtregierungsorganisationen als „Agenten“ hätten gebrandmarkt werden können – ganz im Stile von Putins Russlands. Nach massiven Protesten zog die Regierungspartei ihren Gesetzentwurf wieder zurück.

Wie sehr Georgien nach Europa strebt, gleichzeitig aber eine Nähe zu Russland nicht aufgeben will, dies versucht die deutsche Außenministerin bei ihrem Besuch in Tiflis weiter zu erfahren. Der Wille der Mehrheit der Bevölkerung, die nach Umfragen in EU und Nato will, muss mit dem Handeln der Regierung in Tiflis noch in Balance gebracht werden. Als Zeichen ihrer Solidarität mit der Demokratiebewegung besucht Baerbock am Morgen gleich zum Auftakt ihres dichten Programms die Nichtregierungsorganisation „Georgian Young Lawyers Association“. Die jungen Anwälte sorgen sich um die Rechtsstaatlichkeit im Lande und wollen eine Justiz nach europäischen Standards.

Zur Mittagszeit ist Baerbock dann rausgefahren aus der Hauptstadt. Inspektion im Dorf Odzisi nahe der Verwaltungslinie zu Südossetien. Georgiens Außenminister Ilia Darchiashvili spricht von „Besatzungszone“. Die EU führt hier eine Beobachtermission mit 250 Bediensteten, davon rund 30 aus Deutschland. Ihr Job: Sie sollen darüber wachen, dass der Waffenstillstand zwischen Russland und Georgien eingehalten wird.

Russland jedenfalls steht im wahrsten Sinne des Wortes Gewehr bei Fuß. Die Demokratiebewegung des Landes gefällt dem Kreml nicht. Neben der Ukraine droht Moskau auch Georgien und der kleinen Republik Moldau immer wieder mit Eingreifen und Unruhen. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg verlieh die EU im vergangenen Jahr sowohl der Ukraine als auch Moldau den Status von Beitrittskandidaten. Baerbock sagt: „Ich komme als Freundin von Georgien.“ Sie sei hier, um den EU-Beitrittsprozess zu unterstützen. Freundschaften zeichneten sich aus, „wenn ein Sturm aufkommt, dann braucht man Unterstützung“. Aber es müssten eben zentrale Werte wie Meinungs- und Pressefreiheit erfüllt werden. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Amtskollege Darchiashvili stürmt es zwar nicht, aber es holpert. Pressefreiheit kann nerven, merkt der Minister, als ihn eine junge Journalistin nach dem inhaftierten Eigentümer eines georgischen TV-Senders fragt. Der Außenminister versucht, sich aus der Affäre zu ziehen. Pressefreiheit sei das eine, laufende Justizverfahren seien das andere. Baerbock kann das deuten. Schließlich bricht noch laut krachend ein Stuhl in der Dolmetscherkabine zusammen. Passt zum Stand der Europa-Bemühungen.

Darchiashvili freut sich dennoch über den Besuch aus Deutschland, den er als Unterstützung für sein Land wertet. Unangenehme Fragen ignoriert Darchiashvili bevorzugt. Wie es Georgien mit seinen Oligarchen halten will, die womöglich kein Interesse an einer Demokratisierung des Landes haben? Keine Antwort. Ob Georgien wieder Flüge auf der Strecke Tiflis-Moskau einrichten will? Keine Antwort. Baerbock will Georgien dennoch die Perspektive aufzeigen: „Die Tür zum Kandidatenstatus ist weit geöffnet.“ Voraussetzung: ein erfüllter Zwölf-Punkte-Plan mit Bekenntnis zu zentralen europäischen Werten. Es ist die Formel Hoffnung – für einen Weg von Georgien nach Europa. Baerbock verweist auf das Fenster der Gelegenheit: „Jetzt ist der Moment. Und vielleicht wird der Moment nicht zurückkommen.“