Was bekannt ist Terroranschlag vor Parlamentseröffnung in der Türkei
Ankara · Ein Selbstmordattentäter hat am Sonntag im Herzen der türkischen Hauptstadt Ankara einen Sprengsatz gezündet, wenige Stunden bevor das Parlament nach einer Sommerpause wieder öffnen sollte. Der Nato-Beitritt Schwedens stand auf der Tagesordnung der Volksvertretung.

Türkische Sicherheitskräfte riegeln ein Gebiet ab nach einer Explosion in Ankara am Sonntag. Ein Selbstmordattentäter hat am Sonntag im Herzen der türkischen Hauptstadt Ankara einen Sprengsatz gezündet, wenige Stunden bevor das Parlament nach einer Sommerpause wieder öffnen sollte. Ein zweiter Angreifer wurde bei einem Feuergefecht mit der Polizei getötet.
Foto: dpa/Ali UnalNiemand achtete auf die zwei Männer, die am Sonntagmorgen im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt Ankara mit einem Kleintransporter vor dem Innenministerium vorfuhren. Als der Wagen hielt, stürmte einer der Männer mit einem Gewehr auf den Eingang des Ministeriums zu und wurde vom Wachpersonal erschossen, der zweite sprengte sich mit einer Bombe in die Luft. Die türkische Regierung sprach von einem Terroranschlag - nur Stunden vor der Eröffnung des Parlaments, das sich erstmals nach seiner dreimonatigen Sommerpause wenige hundert Meter vom Tatort entfernt versammeln sollte.
Wer hinter dem Anschlag steckte und gegen wen er sich richtete, war nach der Explosion um 09.30 Uhr Ortszeit (08.30 Uhr MESZ) nicht bekannt. Beim letzten schweren Anschlag in der Türkei starben im vorigen November sechs Menschen durch eine Bombe in einer Istanbuler Einkaufsstraße. Damals macht die Regierung die kurdische Terrororganisation PKK für die Gewalt verantwortlich; die PKK bestritt, etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben. In den vergangenen Jahren hatten auch Extremisten des Islamischen Staates (IS) und Linksextremisten Anschläge in der Türkei verübt.
Fotos vom Explosionsort in Ankara zeigten eine Panzerfaust, die neben dem zerstörten Wagen auf der Straße lag. Der Kleintransporter war auf eine Tierarzt-Klinik im zentralanatolischen Kayseri zugelassen. Die türkischen Sicherheitsbehörden waren offenbar unsicher, ob die beiden Männer allein waren oder ob noch weitere Angreifer im Regierungsviertel unterwegs waren: Die Polizei sperrte die Straßen in der Gegend für den Autoverkehr und schloss die Zugänge zum Parlament, die Justiz verhängte eine Nachrichtensperre.
Im Parlament war um 13 Uhr MESZ am Sonntag eine Eröffnungsansprache von Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgesehen. Zu den Aufgaben des Parlaments in den kommenden Wochen gehört die Entscheidung über den schwedischen Antrag auf den Beitritt zur Nato.
Erdogan strebt dazu einen politischen Tauschhandel mit den USA an. Ankara werde dem schwedischen Nato-Beitritt zustimmen, wenn die Führungsmacht Amerika grünes Licht für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Türkei gebe, so wie sie es versprochen habe, sagte Erdogan wenige Tage vor der Parlamentseröffnung.
Ankara wirft Schweden vor, türkischen Regierungsgegnern Schutz zu gewähren und anti-islamische Aktionen wie Koran-Verbrennungen zu tolerieren. Stockholm hat seine Anti-Terror-Gesetze verschärft, um der Türkei entgegenzukommen. Führende Politiker aus Erdogans Regierungspartei AKP gaben sich trotzdem skeptisch: „Wir sind nicht überzeugt“, sagte Fuat Oktay, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, zum schwedischen Antrag. Die AKP und ihre rechtsnationale Bündnispartnerin MHP haben in der Volksvertretung die Mehrheit und können die Ratifizierung beschleunigen oder verschleppen.
Erdogan hatte den Nato-Partnern im Juli beim Gipfel in Vilnius versprochen, den Weg zur Ratifizierung freizumachen, nachdem US-Präsident Joe Biden zusagte, im Kongress um Zustimmung für die Lieferung von F-16-Kampfjets an die Türkei zu werben; Ankara bemüht sich seit zwei Jahren vergeblich um 40 neue Kampfflugzeuge und 79 Modernisierungs-Pakete für ältere Maschinen.
Die Chancen für die F-16 haben sich nach Einschätzung von Erdogan verbessert, seit US-Senator Bob Menendez, einer der mächtigsten Gegner des Geschäfts, Anfang September wegen Korruptionsvorwürfen als Chef des Auswärtigen Ausschusses im Senat zurücktreten musste. Der Rücktritt sei ein Vorteil für die Türkei, sagte Erdogan auf dem Rückflug von einem Besuch in Aserbaidschan vor mitreisenden türkischen Journalisten. Wenn die USA nun ihr Versprechen zur Lieferung der Jets einhielten, werde die Türkei den schwedischen Nato-Beitrittsantrag ratifizieren.
Ben Cardin, Nachfolger von Menendez als Chef des Senatsausschusses, hat nach eigenen Angaben bereits Zusagen der türkischen Seite für eine Ratifizierung in der ersten Oktober-Hälfte erhalten. Danach sei „das Nato-Problem erledigt“, sagte Cardin vor Journalisten in Washington.
Aber vielleicht nicht das F-16-Problem. Cardin sagte auch, dass seine Zustimmung zu der Lieferung der F-16 nicht allein von einer Lösung im Streit um Schwedens Nato-Beitritt abhänge. Auch andere Themen wie die Menschenrechtslage in der Türkei und das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland müssten besprochen werden.