Gemischte Gefühle beim Staatsbesuch 300 Meter für die Menschenrechte - Merkels weiter Weg in China

Peking · Das deutsch-chinesische Verhältnis ist geprägt von gemischten Gefühlen. Wirtschaft gut, Menschenrechte schlecht. Die Kanzlerin wählt einen Mittelweg. Die Affäre um US-Spionage spielt Peking in die Hände.

 Chinas Ministerpräsident Li Keqiang (rechts) präsentiert sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Himmelstempel in Peking.

Chinas Ministerpräsident Li Keqiang (rechts) präsentiert sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Himmelstempel in Peking.

Foto: dpa, nie axs

Dieses Bild ist ungewohnt: Die Kanzlerin steht in Peking neben dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang und beklagt einen Vertrauensbruch der USA. Im Spionagefall eines BND-Mitarbeiters, der für US-Geheimdienste gearbeitet haben soll, kommt Merkel nach tagelangem Schweigen am Montag bei ihrem Besuch in China nicht umhin, zu reagieren. Dass, und wie sie es macht, zeigt: Die Spitzelei der Amerikaner ist ihr zuwider. Genauso, sich öffentlich dazu zu äußern.

Misslich für Merkel ist, dass sie ausgerechnet in China, deren Spionage sie vor einem Jahr noch mehr gefürchtet haben dürfte als die der USA, öffentlich einen Verbündeten kritisiert. Kritisieren muss.
Denn nach der massiven Ausspähung durch US-Geheimdienste bis hin zu ihrem Handy markiert die mutmaßliche Spionage einen neuen Tiefpunkt in der Freundschaft. Schweigen ist da nicht Gold.

Dabei ist ihr Washington näher als Peking. Und mit den USA verbindet Deutschland mehr Werte als mit China. Li nutzt die Chance, sich mit Merkel zu verbrüdern, als diese auch Cyberattacken aus China als destruktiv wertet. Auch China sei ein Opfer solcher Angriffe. "Die chinesische Regierung lehnt es entschieden ab, dass jemand durch Cyberattacken an Geheimnisse oder geistiges Eigentum kommt." China sei gerne bereit, den Dialog darüber mit Deutschland zu vertiefen.

Ein hoher Vertreter eines weltweit operierenden deutschen Konzerns, der namentlich nicht genannt werden möchte, könnte Merkel und Li einen Tipp geben: "Unsere Computerleute sagen mir, dass sie sich erst um Angriffe aus Amerika kümmern. Wenn sie damit umgehen könnten, ließen sich auch die Attacken aus China und Russland abwehren."

Die Beziehungen zwischen der aufstrebenden Großmacht China mit 1,3 Milliarden Menschen und der kleinen Bundesrepublik mit 80 Millionen - aber herausragender Wirtschaftskraft - gelten als grundsätzlich gut. Die Basis wurde wesentlich von der Wirtschaft geschaffen. China ist für Deutschland der wichtigste Handelspartner in Asien und die Nummer Drei weltweit. Deutsche Unternehmen investieren in China Milliardensummen.

2012: China empfängt Merkel mit militärischen Ehren
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Doch es gibt erheblichen Unmut, dass China seinen Markt für deutsche Firmen begrenzt, ihr Knowhow abgreift, ihre Rechte aber beschneiden möchte. Genehmigungen dauern extrem lang. Bei öffentlichen Ausschreibungen werden chinesische Unternehmen bevorzugt.
Diskriminierung, Handelshemmnisse.

Chinas Staatschef Xi Jinping besucht Deutschland
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Foto: dpa, nie wst

Merkel benennt sie offen vor Li. Und verknüpft wirtschaftliche Entwicklung mit Menschenrechtsfragen. Ihrer Ansicht nach profitiert die Wirtschaft von einer freien Gesellschaft, von selbstbewussten und nicht unterdrückten Menschen.

Die Tatsache, dass Merkel dies in China so ansprechen kann, ohne dass sich Peking abwendet, liegt an Zweierlei. Deutschland ist für China als Wirtschaftsmotor und Tor zu Europa zu wichtig. Und Merkel wirkt hier mit ihrer DDR-Vergangenheit authentisch. Aber eigentlich reden sie aneinander vorbei. Während Merkel an die Inhaftierung von Bürgerrechtlern, die gelenkte Justiz oder mangelnde Meinungs- und Versammlungsfreiheit denkt, versteht Premier Li unter Menschenrechten bewusst etwas ganz anderes - die existenziellen Rechte wie Nahrung, Kleidung, Arbeit.

China habe Hunderte Millionen Menschen aus der Armut geholt, wertet Li als Erfolg für die Menschenrechte. Doch kommentiert ein Unternehmensrepräsentant: "Nicht wegen, sondern trotz der Kommunistischen Partei ist China heute so weit." Nur der Rückzug der Staatspartei aus der Wirtschaft, die Kräfte des Marktes und das Ende ideologischer Grabenkämpfe hätten die Dynamik freigesetzt, die hinter Chinas "Wirtschaftswunder" steckten.

Nach einem Treffen mit deutschen und chinesischen Schülern im Himmelstempel gibt es eine seltene Gelegenheit für Merkel, Li unter vier Augen konkret zu sagen, was sie bei den Menschenrechten will.
Über 300 Meter spazierten beide bei schwülheißem Wetter durch den Park entlang an alten, hohen Bäumen - ohne Delegation, ganz privat. So war es geplant.

Ob es was bringt? Daran ließe es sich messen: Wenn sich der Wunsch des Künstlers Ai Weiwei, seine Ausstellung in Berlin noch vor ihrem Ende in dieser Woche besuchen zu dürfen, erfüllt. Oder der dreijährige Hausarrest für die Frau des inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo endlich enden würde.

(dpa)
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