Münchner Sicherheitskonferenz Stück für Stück vom großen Puzzle

München · Bei der Münchner Sicherheitskonferenz wirbt Angela Merkel mit einer eindringlichen Rede für eine Welt der multilateralen Ordnung. US-Vizepräsident Mike Pence drängt Deutschland zu mehr Engagement.

 Angela Merkel und Mike Pence, amerikanischer Vizepräsident, in München.

Angela Merkel und Mike Pence, amerikanischer Vizepräsident, in München.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Ivanka Trump rückt ihren Kopfhörer näher ans Ohr. Das hier muss sie genauer hören. Schokolade aus Bayern, die sie ihren Kindern versprochen hat, kann die Tochter des US-Präsidenten später immer noch kaufen. Noch steht am Rednerpult eine Frau, die spannender ist als Schokolade. Erstaunlich schnell fügt sie die Stücke eines Weltpuzzles zusammen. Angela Merkel ist dabei, die europäisch-amerikanische Entfremdung am Beispiel der Autoindustrie zu erklären.

Was habe sie lesen müssen? Das US-Handelsministerium habe beklagt, dass Autos aus Europa, in die USA importiert, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ seien und mit Strafzöllen belegt werden müssten. Klingt absurd, will Merkel sagen. Falsche Wahrnehmung in Trump-Land. Merkel versucht es spielerisch: „Schauen Sie, wir sind stolz auf unsere Autos, das dürfen wir auch.“ Wo steht die größte Fabrik von BMW? Genau, in South Carolina, USA. Wenn also Autos aus Bayern, gebaut in South Carolina, eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA sind, „dann erschreckt uns das.“ Applaus im Saal.

Wie war das noch? „Heute ist die Welt ein kleines Dorf“, hat Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi zuvor in einer Debatte über die europäisch-afrikanische Zusammenarbeit gesagt. Es ist ziemlich viel los in diesem kleinen Dorf, das sich an diesem Morgen in einem Saal in München versammelt: Millionen Menschen auf der Flucht, Terror, Extremismus, Wettrüsten, Klimawandel, Handelskriege, Strafzölle.

„Das große Puzzle – wer fügt die Teile zusammen?“ ist diese 55. Auflage der Münchner Sicherheitskonferenz überschrieben. Merkel beginnt mit dem Wissenschaftler und Weltreisenden Alexander von Humboldt, der vor 250 Jahren „die Welt als Ganzes sehen und verstehen“ wollte. In seinen mexikanischen Reisebüchern habe Humboldt festgestellt: „Alles ist Wechselwirkung.“ Merkel hätte auch sagen können: Alles hängt mit allem zusammen, in dieser einen Welt. Europa mit den USA, Europa mit Russland, die USA mit Russland und mit China, Europa mit Afrika, Asien mit Afrika. Ein großes Puzzle. Keine Welt, in der ein Staat, eine Regierung oder gar ein Politiker allein, die Dinge zum Besseren lenken kann. Merkels Botschaft: Diese Welt braucht Multilateralisten, ein Netzwerk für regelbasierte Ordnung.

Die Bundeskanzlerin weiß, dass nach ihr US-Vizepräsident Mike Pence Deutschland und andere Nato-Partner wieder einmal wegen des verabredeten Zwei-Prozent-Zieles der Nato bei den Verteidigungsausgaben angehen wird. Deutschland ist dabei weiter säumig. Merkel bekennt, 2014 seien es erst 1,18 Prozent gewesen, aktuell liege man bei 1,35 Prozent, 2024 sollen 1,5 Prozent erreicht sein. Aber Deutschland gebe mehr als nur Geld. Man habe Truppen in Mali, übernehme zum zweiten Mal die Nato-Speerspitze, deutsche Soldaten seien seit vielen Jahren in Afghanistan. „Wenn wir einmal wo sind, da beiben wir auch. 18 Jahre Afghanistan, da sind wir vorbildlich“, sagt Merkel. Sie will keine Zweifel aufkommen lassen: „Ja, wir brauchen die Nato als Stabilitätsanker in stürmischen Zeiten.“

Tatsächlich verweist Pence dann darauf, dass mittlerweile etwa die Hälfte der Nato-Partner das Zwei-Prozent-Ziel erreicht haben. „Dank der Führungskraft von Präsident Trump haben wir wieder echtes Geld und echte Ergebnisse.“ Aber: „Viele unserer Bündnispartner müssen noch mehr tun.“ Der US-Vize dankt allen Nato-Partnern, die sich gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2 positionieren. Der nächste Hieb gegen die Bundesregierung, schließlich will Deutschland die russische Gasversorgung. Wobei Merkel klar macht: „Die Ukraine muss Gas-Transitland bleiben.“ Pence: „Wir können nicht akzeptieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen.“ Ob Deutschland mit der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht in eine Falle Russlands getappt sei, will eine junge ukrainische Abgeordnete von Merkel wissen. Die Bundeskanzlerin hält entgegen, einerseits sei sie für eine Politik der Härte gegen Moskau, „aber geostrategisch alle Verbindungen zu Russland zu kappen, das halte ich für falsch“.

Ihre Überzeugung: Es geht in dieser Welt nur zusammen. Die USA seien machtvoller, China sei mit 1,3 Milliarden Menschen größer als Europa, Deutschland dagegen vergleichsweise klein. Aber „Win-win“, also Zusammenarbeit, von der alle etwas hätten, sei besser als die Meinung, einer allein könne es richten. US-Vize Pence hat sicherheitshalber nochmal klargestellt, dass Trump mit seinem „America first“ nicht gesagt habe: „Amerika allein“. Europa, bitte kommen! Einverstanden, gibt Merkel zu verstehen.

Wer also fügt die Teile in diesem großen Weltpuzzle zusammen? „Nur wir alle zusammen“, endet die Bundeskanzlerin. Der anschließende Applaus wird zu einer Demonstration der Unterstützung für Merkel. Konferenz-Stammgast und Politikberater François Heisbourg bekennt: „Das ist die vielleicht beste Rede, die ich hier jemals gehört habe.“ Nach und nach erheben sich Teilnehmer zum Beifall bis etwa die Hälfte der Vertreter stehen. Merkel macht der Applaus fast ein wenig verlegen. Ivanka Trump hält ihren Kopfhörer versonnen neben ihr Ohr und guckt so, als hätte Merkel die Präsidententochter tatsächlich erreicht, vielleicht sogar berührt. Muss irgendwie gar nicht so schlecht sein – diese Welt der Multilateralisten.

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