Kanzlerin in Jordanien Merkel verteidigt ihre Flüchtlingspolitik und kämpft ums politische Überleben

Amman · Zu Hause lastet ein gewaltiger Druck auf der Kanzlerin. Die schwarze Schwester CSU lässt im Asylstreit nicht locker - es geht um Merkels politisches Schicksal. Die Nahost-Reise kommt für die Kanzlerin zur rechten Zeit.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel neben der Palastwache von Abdullah II..

Bundeskanzlerin Angela Merkel neben der Palastwache von Abdullah II..

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Wenn Angela Merkel die neuerliche Regierungskrise zu Hause erschüttern sollte, kann die Kanzlerin derartige Gefühle ziemlich gut verbergen. Der erbitterte Machtkampf mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) um ihre Migrationspolitik, er rührt angesichts nationalistischer Tendenzen überall auf der Welt an Merkels Grundüberzeugungen von europäischer Politik und multilateralen Problemlösungen. Doch bei ihrer zweitägigen Reise in den Krisenbogen um Syrien macht die Kanzlerin nicht den Eindruck, als habe sie resigniert.

Merkel kämpft um ihre Vision eines europäischen Migrationskonzepts - und natürlich auch um ihr politisches Überleben. Wie auf einer Abschiedstour nach bald 13 Jahren im Amt wirkt sie in Jordanien nicht. Doch auch Vertraute um Merkel räumen ein: Die Lage ist ernst. Manche haben den Eindruck, die kleine Unionsschwester CSU wolle die Kanzlerin fast um jeden Preis aus dem Amt hebeln.

Für Merkel dürfte die Nahostreise ein Trip zur richtigen Zeit sein. Es geht um Unterstützung für Länder, die massenhaft Flüchtlinge aufgenommen haben - das ist ein Kernbaustein ihrer Migrationspolitik. Die Menschen sollen schon im Krisengebiet davon abgehalten werden, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

„Wir müssen ein offenes Land sein“

Gleich am Vormittag holt die Innenpolitik die Kanzlerin in einer Runde mit Studenten der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman ein. Ob man angesichts der Erfolge der Rechtspopulisten von der AfD nun Angst vor Rassismus haben müsse, will eine Studentin wissen. Im Großen und Ganzen sei Deutschland nach wie vor ein sicheres Land, antwortet Merkel - und schlägt einen Bogen zum Mord an der 14-jährigen Susanna aus Mainz: Auch in Deutschland gebe es ja Menschen, die Angst vor Flüchtlingen hätten. Sie sei auf der Seite derer, die sagten: „Wir müssen ein offenes Land sein“, auch wenn die Migration natürlich geordnet und gesteuert werden müsse.

Im Anschluss dann das Gespräch mit dem jordanischen König Abdullah II., einem Hoffnungsträger des Westens, der wenigstens für etwas Stabilität in der Krisenregion um Syrien bürgt. Die Kanzlerin will Abdullah stärken, er gilt als gebildeter Monarch mit großen Sympathien für Deutschland. Merkel sagt Jordanien einen Zusatz-Kredit in Höhe von 100 Millionen US-Dollar zu - zur Unterstützung bei der schwierigen Umsetzung der Reformen, die der Internationale Währungsfonds von dem Land verlangt. Kürzlich hatte es Massenproteste deswegen gegeben. Nicht auszudenken, wie sich die Region entwickelt, wenn Jordanien als Anker der Stabilität wegfallen würde.

Am Nachmittag besucht Merkel Bundeswehrsoldaten im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die rund 250 deutschen Soldaten auf einem Luftwaffenstützpunkt im Osten des Landes - sie fühlten sich in Jordanien wohl, hatte der Generalinspekteur der Kanzlerin schon kurz vor der Reise signalisiert. Auch hier also: keine Krise.

CSU warnt vor „schmutzigen Deals“

Es soll nach politischer Normalität auf dieser Reise aussehen. Doch der Schein trügt. Manchmal, wenn sich Merkel unbeobachtet fühlt, sind Spuren des Machtkampfes zu erkennen. Härter als sonst wirken die Gesichtszüge der 63-Jährigen dann. Es dürfte sich in solchen Momenten der Überdruss über die neuerlichen Angriffe aus Bayern zeigen.

Dabei wird Merkel höchstens die Wucht der Attacken von Seehofer, Ministerpräsident Markus Söder und dem Berliner Landesgruppenchef Alexander Dobrindt überrascht haben. Dass die Kritik an ihrem Flüchtlingskurs mindestens bis zur bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober anhalten wird - darüber wird sich die CDU-Vorsitzende kaum eine Illusion gemacht haben. Doch dass auf einmal zu hören ist, in der CSU mache man sich konkretere Gedanken über eine Trennung der legendären Fraktionsgemeinschaft der Union, muss Merkel beunruhigen.

Sie selbst hat sich eine Frist von zwei Wochen bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni gesetzt, um greifbare Fortschritte für ihr Migrationskonzept zu erreichen. Sie bastelt intensiv an einer europäischen Lösung, auch auf dieser Nahostreise. Immerhin hat sie es geschafft, für diesen Sonntag ein Treffen der vom Migrationsdruck am meisten betroffenen Länder in Brüssel zu organisieren. Dort will sie für ihre Pläne werben, bi- oder multilaterale Abkommen zur Rücknahme von an deutschen Grenzen abgelehnten Migranten zu formen.

Möglich aber, dass am Ende wieder die europäischen Egoismen überwiegen und Merkel doch mit leeren Händen dasteht. Für jene in der CSU, die sich sehnlichst ein Scheitern der Kanzlerin wünschen, könnte das wohl ein Grund zum Jubeln sein. Die CSU-Granden lassen jedenfalls nicht locker - und warnen am Donnerstag schon lautstark vor „schmutzigen Deals“ auf Kosten deutscher Steuerzahler beim Migrationstreffen am Sonntag. Auf Merkel mag das wirken, als ob ihr die CSU einen Erfolg fast um jeden Preis missgönnt.

Kanzlerin als Ratgeberin

Der Kanzlerin dürfte es angesichts von soviel Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik eine Genugtuung gewesen sein, als zwei Studenten ihr im voll besetzten Hörsaal danken. Sie wolle „Danke sagen, dass Sie sehr viel Menschlichkeit gezeigt haben und dafür sehr viel Gegenwind einstecken mussten“, meint etwa eine deutsche Austauschstudentin.

Zur Lösung von Konflikten beispielsweise unter Migranten hat Merkel dann vor den jungen Leuten noch ein ziemlich einfaches Rezept parat: Eine der erfolgreichsten Strategien weltweit sei es, die Menschen Fußball spielen zu lassen. Vertrauen baue sich durch gemeinsame Tätigkeiten wie Sport oder Kochen auf, sagt die Kanzlerin. Ob das auch ein Ansatz zur Lösung der Krise mit Seehofer wäre?

(wer/dpa/rtr)
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