Krisen-Diplomatie Merkels schwierige Rolle im Krim-Konflikt

Berlin · Die Kanzlerin hält mit Außenminister Steinmeier den Draht nach Moskau. Putin billigt Deutschland trotz Differenzen größere Nähe zu. Während die USA, Frankreich und Großbritannien mit Sanktionen drohen, schweigt die Kanzlerin. Doch hinter Merkels Schweigen verbirgt sich keine Zögerlichkeit, sondern der Versuch um Deeskalation.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Staatspräsident Wladimir Putin sprechen am 16. November 2012 im Kreml in Moskau nach den 14. deutsch-russischen Regierungskonsultationen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Staatspräsident Wladimir Putin sprechen am 16. November 2012 im Kreml in Moskau nach den 14. deutsch-russischen Regierungskonsultationen.

Foto: dpa, Kay Nietfeld

Am Sonntag schien alles wie immer: Alle möglichen westlichen Regierungen äußerten sich zur Eskalation in der Ukraine. Die USA drohten bereits mit Sanktionen, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Aber aus Berlin gab es lange nur eine Erklärung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen schwieg und schwieg. Erst als das russische Präsidialamt am Abend seine Version eines Telefonats von Merkel mit Präsident Wladimir Putin veröffentlichte, reagierte man.

Doch der Eindruck von Zögerlichkeit und Hinterherhinken täuscht: Im Hintergrund spielt das Duo Merkel-Steinmeier beim Versuch der Deeskalation offenbar eine zentrale Rolle. "Wenn irgendjemand Putin überzeugen kann, in seinem Interesse die Soldaten zurück in die Kasernen zu schicken, ist sie es", bemerkt die amerikanische Zeitschrift "New Yorker". Die Gründe dafür liegen in Merkels besonderem Verhältnis zu Putin, in der deutschen Interessenlage und der jüngsten Positionierung der Kanzlerin zu den USA.

Keine Liebe, aber gegenseitige Kenntnis

Das Verhältnis der Kanzlerin zum russischen Präsidenten ist ganz anders als bei ihrem Vorgänger Gerhard Schröder. Seit sie Putin das erste Mal als Regierungschefin besuchte, prägen Spannungen ihre Treffen. Putin hat Merkels bewussten Distanzierungsversuch zur Schröder-Vertraulichkeit mehrfach mit kleinen "Psycho-Spielchen" beantwortet, etwa als er seinen Hund an den Beinen der Kanzlerin schnüffeln ließ, deren Angst vor großen Hunden bekannt war. Noch als Merkel vergangenen Sommer St. Petersburg besuchte, hätte es beinahe einen Eklat gegeben, weil Putin kurzerhand die vorgesehenen Grußworte streichen wollte. Merkel setzte sich schließlich durch: "Es ist immer anstrengend, immer Kampf, aber intensiv", beschreibt ein hohes deutsches Regierungsmitglied das Verhältnis der beiden.

Als unschätzbarer Vorteil wird auf beiden Seiten angesehen, dass Merkel und Putin nach Jahren der Zusammenarbeit wissen, was sie aneinander haben und was nicht. Eine viel offenere Sprache zwischen beiden ist schon deshalb möglich, weil die Ostdeutsche und der ehemals in der DDR stationierte KGB-Offizier sowohl Deutsch als auch Russisch miteinander reden können. "Die gemeinsame Sprache hilft", heißt es in der Regierung.

Deutsche Interessen

Dazu kommt, dass der russische Präsident trotz seines immer wieder betonten Ärgers über gebrochene westliche Versprechen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiß, dass Deutschland traditionell den Ausgleich auch mit seinem Land sucht. Aus geografischen, historischen und wirtschaftlichen Gründen bemühen sich wechselnde Bundesregierungen um eine strategische Partnerschaft mit Russland. Daran ändert auch Merkels offene Kritik an den umstrittenen innenpolitischen Entwicklungen seit Putins Rückkehr in den Kreml nichts. Dort sieht man in Deutschland deshalb eher einen Partner als einen Gegner. Das hilft gerade bei der Vermittlung in schwierigen Situationen. Es war Merkel, der Putin die Zusage zu einer internationalen Kontaktgruppe gab. In seiner Pressekonferenz am Dienstag betonte er ausdrücklich, dass er seinem Außenminister den Auftrag gab, dies mit den Deutschen zu verhandeln. Merkel und Steinmeier lassen im Gegenzug bei aller harter Kritik an Russlands Vorgehen durchschimmern, dass sie die schnellen Sanktionsdrohungen der US-Regierung sehr skeptisch sehen. Die Kanzlerin wirbt um Deeskalation in alle Richtungen.

Neutraler als der Rest des Westens

Dazu kommt gerade in den vergangenen Monaten ein anderer Punkt: Merkel genießt in Moskau zumindest hohe Glaubwürdigkeit, weil gerade sie als überzeugte Transatlantikerin etwa in der NSA-Abhöraffäre auch die USA kritisiert. Deutschland gilt nicht mehr automatisch als Anhängsel der USA. Von denen hat sich Merkel in ihrer Amtszeit weder zu einer EU-Mitgliedschaft der Türkei oder der Ukraine noch zur Aufnahme der Ukraine oder Georgiens in die Nato drängen lassen. Bei der Militärintervention in Libyen bremste die Kanzlerin und warnte stets, man müsse auch die Folgewirkungen bedenken.

Das ändert nichts an harter Kritik gerade an Putin. Merkel hat ihn wiederholt gemahnt, dass Russland nur durch innenpolitische Reformen, nicht aber durch sein rabiates Vorgehen stabilisiert werden könne. Und US-Präsident Barack Obama gab Merkel nach ihrem Telefonat mit Putin laut "New York Times" ihren Eindruck weiter, dass Putin "in einer anderen Welt" lebe, weil er die Reaktionen des Westens auf seine Drohgebärden falsch einschätzte.

Genau diese schonungslose Offenheit bei gleichzeitiger Zurückhaltung in der Öffentlichkeit dürfte Merkel derzeit wirklich großen Einfluss bei Putin verschaffen, sagen ranghohe deutsche und EU-Diplomaten. Der russische Präsident müsse erkannt haben, dass er von der Kanzlerin ungeschminkt und ohne Hintergedanken höre, was seine Optionen aus westlicher Sicht seien. Und dass sie ihm die freundlichste Version biete, die er aus dem Westen überhaupt erwarten könne.

(REU)
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