Massenproteste in Bukarest In Rumänien geht es um die Demokratie

Bukarest · Seit eineinhalb Jahren finden regelmäßig Massenproteste gegen die korrupte Linksregierung in Rumänien statt. Am Wochenende haben sie einen neuen Höhepunkt erreicht. 450 Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Die Lage in dem südosteuropäischen Land spitzt sich zu. Eine Analyse.

 Demonstranten vor dem Regierungssitz in Bukarest.

Demonstranten vor dem Regierungssitz in Bukarest.

Foto: dpa/Vadim Ghirda

Die Szenen in den Straßen der rumänischen Metropole Bukarest und in anderen Städten erinnern an den Sturz des kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu Ende 1989. Rund 100.000 Demonstranten am Siegesplatz vor dem Regierungsgebäude sah man seither nicht mehr. Auch die Parolen sind ein Echo aus dieser Zeit: „Rücktritt“, „Schande!“ und „Weg mit der Mafia-Regierung“ ist auf Transparenten zu lesen.

Dass diesmal die Organisation der Diaspora zu den Protesten aufrief, ist ein starkes Signal dafür, dass die Demokratie in Gefahr ist. Zehntausende der rund drei Millionen im Ausland lebenden Rumänen kamen aus ganz Europa nach Bukarest, um die Landsleute im Kampf um den Rechtsstaat gegen die postkommunistische Machtclique zu verteidigen, die den Staat als Selbstbedienungsladen plündert und eine Justizreform verabschieden will, mit der Korruption in Zukunft praktisch straffrei werden soll.

Größter Nutznießer ist De-facto-Premier Liviu Dragnea selbst, der nach einer Verurteilung wegen Wahlschwindels selbst nicht den Premiersposten besetzen darf. Seine treue Gefolgsfrau Viorica Dancila hat das Amt deswegen inne. Dragnea, 56, ist als Chef der postkommunistischen PSD und als Parlamentspräsident gleichwohl der mächtigste Mann des Landes. Derzeit läuft gegen ihn ein Verfahren wegen Missbrauchs von EU-Fördergeldern aus der Zeit, als er Landeschef der Südprovinz Teleorman war.

Der rücksichtslose brutale Einsatz der Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Prügelorgien, auch gegen Frauen und Kinder, zeigt, dass Dragnea zunehmend um seine Macht fürchtet. Während Präsident Klaus Iohannis das „unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei“ anprangert, rechtfertigt sich Innenministerin Carmen Dan, sie habe der Gewalt von Hooligans Einhalt gebieten müssen. Doch diese Masche kennen die Rumänen längst seit dem Umsturz vor fast 30 Jahren: Auch damals hat die Regierung selbst bezahlte Hooligans geschickt, um friedliche Demonstrationen zu kriminalisieren. Für die 450 teils schwer verletzten Zivilisten am Wochenende hatte die Innenministerin kein Wort des Bedauerns übrig. Es geht lediglich darum, den Protestwillen zu brechen und die Bevölkerung einzuschüchtern.

Die Regimegegner von heute entstammen dem mittlerweile gewachsenen Mittelstand. Das sind vor allem Menschen in gehobenen Berufen, junge Unternehmer und junge Familien, Studenten und Intellektuelle. Sie sind bereit, für das Erreichte auf die Straße zu gehen. Die Demonstranten haben nicht zuletzt durch die Kontakte mit den Auslandsrumänen ein westlich geschultes Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis, das in den Augen der PSD eine Gefahr für ihre Machtbasis darstellt.

Präsident Iohannis hat sich von Anfang an mit den Protesten solidarisiert und umstrittene Gesetzesvorlagen so lange wie möglich durch Unterschriftsverweigerung hinausgezögert. Die Absetzung der erfolgreichen Antikorruptionsjägerin Laura Kövesi, die Hunderte Politiker vor Gericht gebracht hatte, konnte Iohannis nicht mehr verhindern. Doch Iohannis ist Dragneas größter Feind, was er ihn auch spüren lässt: Er drohte ihm bereits mehrfach ein Absetzungsverfahren an; Befugnisse des Staatsoberhaupts, etwa bei der Ernennung von Richtern, sollen durch die Justizreform drastisch beschnitten werden. Zuletzt ließ Dragnea das Budget für den Präsidentenpalast um 20 Prozent kürzen.

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