Steigende Zahlen an Todesfällen Amnesty kritisiert Flüchtlingspolitik der EU im Mittelmeer

Berlin · Die Zahl afrikanischer Bootsflüchtlinge im Mittelmeer steigt. Deswegen hat Amnesty International die EU dazu aufgefordert, ihrer Verantwortung bei der Seenotrettung gerecht zu werden.

 Flüchtlinge im Mittelmeer in Not (Archivbild).

Flüchtlinge im Mittelmeer in Not (Archivbild).

Foto: dpa, tba

Europa versuche durch Kooperation mit der libyschen Küstenwache zu verhindern, dass Flüchtlinge und Migranten Italien erreichen, beklagte Amnesty-Experte Rene Wildangel. Dadurch mache sich die EU letzten Endes mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen und dem Tod von Flüchtlingen.

Unter Verweis auf einen UN-Bericht sagte Wildangel, dass die libysche Küstenwache mehrfach Flüchtlingsboote beschossen und gerettete Menschen misshandelt habe. Kämen die Betroffenen nach Libyen zurück, drohe ihnen Haft und Folter. "Die geretteten Menschen müssen an einen sicheren Ort gebracht werden — und solche Orte gibt es in Libyen aktuell nicht", so der Vertreter von Amnesty.

Sea-Watch fordert von EU, selbst mehr Boote einzusetzen

"Wenn wir gezwungen werden, gerettete Flüchtlinge selbst in Häfen in Italien zu bringen, werden die Einsatzkräfte zur Seenotrettung reduziert", sagte derweil Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. "Das bedeutet mehr tote Flüchtlinge." Neugebauer warf der EU eine "Abschottungsstrategie" vor, "die bewusst Tote in Kauf nimmt".

Die italienische Regierung will beim Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag in Estlands Hauptstadt Tallinn einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen vorschlagen, die mit eigenen Booten Flüchtlinge vor Libyen retten. Hintergrund sind die zuletzt stark gestiegenen Ankunftszahlen von Bootsflüchtlingen in Italien, durch die sich das Land an seiner Kapazitätsgrenze sieht.

Der italienische Vorschlags sieht unter anderem vor, dass die privaten Organisationen gerettete Flüchtlinge nicht mehr anderen Schiffen übergeben dürfen. Sie müssen diese stattdessen selbst in einen "sicheren Hafen" bringen, was entsprechend Zeit in Anspruch nimmt und die Zahl möglicher Rettungseinsätze verringert.

Neugebauer forderte von der EU, selbst mehr Boote zur Seenotrettung einzusetzen anstatt dies privaten Hilfsorganisationen zu überlassen und diese nun auch noch in ihrer Arbeit zu behindern. "Das ist wie zu sagen, es sterben zu viele Motorradfahrer auf den Straßen, deshalb schicken wir jetzt keine Krankenwagen mehr los", sagte der Sea-Watch-Vertreter.

Mehr als 2000 Menschen sollen seit Beginn des Jahres ums Leben gekommen sein

Seit Beginn des Jahres kamen laut UN-Angaben 83.650 Migranten über die Mittelmeerroute in Italien an. Das seien 20 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres; mehr als 2000 Menschen sollen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ums Leben gekommen sein. Libyen ist insbesondere für Migranten aus Afrika eine der Hauptdrehscheiben, um per Boot nach Europa zu gelangen. Helfer sprachen zuletzt von einem "humanitären Desaster".

Der deutsche Diplomat Martin Kobler warnte angesichts dieser Zustände vor einseitigen Ansätzen in der europäischen Libyen-Politik. "Der Ausbau der Küstenwache, die Sicherung der Grenzen zum Niger und Tschad — das reicht nicht aus", sagte der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Libyen am Mittwoch. "Mit repressiven Mitteln allein wird da keine Lösung zu erzielen sein."

Stattdessen müsse man an die Grundursachen herangehen. Dazu zähle der Wiederaufbau der staatlichen Autorität in Libyen. Geld sei nicht das Problem, betonte der Diplomat. "Libyen ist ein reiches Land, hier lagern die größten Erdölvorkommen Afrikas." Nötig sei mehr sichtbares politisches Engagement. "Die EU hat ja nicht einmal eine Botschaft in Tripolis - aus Sicherheitsgründen. Deutschland auch nicht."

Der Sonderbeauftragte des Flüchtlingshilfswerks UNHCR für die zentrale Mittelmeerroute, Vincent Cochetel, forderte unterdessen mehr Hilfsbemühungen in den südlichen Nachbarstaaten Libyens. "Wenn die Menschen in Libyen sind, ist es zu spät", sagte er. Vor allem gelte es, stärker den Menschenhandel zu bekämpfen. Der illegale Handel in der Sahelregion sei zur Haupteinnahmequelle geworden. "Das ist gefährlich und destabilisierend für die Region."

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat dem stark belasteten Italien Unterstützung in der Flüchtlingskrise zugesichert. Deutschland wolle Italien dabei helfen, "die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, die nach Europa kommen und kommen wollen, ohne schutzbedürftig zu sein", sagte de Maizière am Donnerstag beim Treffen mit seinen EU-Kollegen in Estland. Er stellte sich dabei grundsätzlich hinter das Vorhaben Roms, einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen vorzulegen, die Bootsflüchtlinge vor Libyen retten.

(das/KNA/AFP)
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