Terror in Paris Al Qaida und IS — Rivalen als angebliche Partner bei Attentaten

Paris · Beide kämpfen für ein islamisches Kalifat und gegen den Einfluss des Westens – doch Al Qaida und IS sind sich spinnefeind. Haben sie bei den Terroranschlägen von Paris wirklich zusammengearbeitet?

Chronologie des Terrors von Paris
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Foto: afp, tlr/ab

Beide kämpfen für ein islamisches Kalifat und gegen den Einfluss des Westens — doch Al Qaida und IS sind sich spinnefeind. Haben sie bei den Terroranschlägen von Paris wirklich zusammengearbeitet?

Der Geiselnehmer vom jüdischen Supermarkt bekannte sich zur Terrormiliz Islamischer Staat, die Angreifer der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" zur Al Qaida. Dass die beiden rivalisierenden Gruppen bei den Angriffen von Paris zusammengearbeitet haben sollen, wirft einige Fragen auf: Wusste die jeweilige Führungsspitze vorab von den Anschlägen und war sie daran in irgendeiner Weise beteiligt? Oder agierten die drei Attentäter auf eigene Faust und ignorierten die ideologischen Differenzen zwischen den Terrornetzwerken?

In einem Bekennervideo behauptet Amedy Coulibaly seine Geiselnahme in einem jüdischen Laden am Freitag sei mit der Attacke der Brüder Chérif und Said Kouachi auf "Charlie Hebdo" zwei Tage zuvor koordiniert gewesen. Alle drei starben bei beinahe zeitgleichen Polizeioperationen am Freitag, nachdem sie insgesamt 17 Menschen getötet hatten.

Charlie Hebdo - Gedenkmarsch in Paris
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Die Kouachis seien "Brüder aus unserem Team", sagte Coulibaly in dem Video, das ihn unter einer schwarz-weißen Flagge zeigt, die oft von radikalen Islamisten verwendet wird. "Wir haben einige Dinge gemeinsam gemacht und einige Dinge getrennt — damit sie mehr bewirken." Er habe den Brüdern mit "ein paar tausend Euro" ausgeholfen, damit sie den Plan umsetzen könnten.

Das Video wurde am Sonntag auf Extremisten-Webseiten veröffentlicht. Die auf die Überwachung von Terrorseiten im Internet spezialisierte Organisation SITE verifizierte es, und zwei Personen, die mit Coulibaly Drogen gedealt hatten, bestätigten der Nachrichtenagentur AP, dass es sich um ihn handelte.

Experten ziehen aber in Zweifel, dass die Führungen der rivalisierenden Netzwerke Al Qaida und IS im Detail in die Terrorpläne eingeweiht waren. Said Kouachi soll zwar im Jemen ausgebildet worden sein und für die dortige Al Qaida gekämpft haben, eine direkte Verbindung von Coulibaly zu dem im Irak und in Syrien aktiven IS ist aber bisher nicht bekannt. Nur einen Hinweis gibt es: Seine Lebensgefährtin reiste vor der Geiselnahme über die Türkei nach Syrien.

Der IS und die Al-Qaida-Führung brachen im vergangenen Jahr miteinander, vor allem weil sich der IS nicht dem Diktat von Al-Qaida-Führer Aiman al-Sawahiri unterordnen wollte. Seitdem kam es am Rande des Bürgerkriegs in Syrien zu heftigen Gefechten zwischen dem syrischen Al-Qaida-Ableger, der Nusra-Front, und dem IS mit Hunderten Toten.

"Es wäre eine gewaltige Überraschung. Die Vorstellung, dass sie bewusst bei Operationen im Ausland zusammenarbeiten sollten, scheint weit hergeholt", sagt Peter Neumann, Direktor am Internationalen Zentrum für Studien zur Radikalisierung am King's College in London. Wenn es eine Abstimmung gegeben haben sollte, dann sei diese möglicherweise zwischen den Akteuren selbst passiert. Coulibalys Angriff sei weit weniger professionell gewesen und offensichtlich spontaner als die Attacke der Kouachi-Brüder auf "Charlie Hebdo".

"Er scheint der Prototyp des losgelösten französischen Muslims zu sein, der unter einem Gefühl der Entfremdung leidet und dann eine Ideologie (zu unterstützen) beginnt, durch die er sich wichtig und bestimmt fühlt und die ihm Sinn und Richtung gibt", sagt Neumann.

Auch Timothy Holman von der Hochschule RSIS in Singapur geht davon aus, dass die drei Angreifer von Paris persönliche Verbindungen hatten, jenseits der Rivalität der Führung von IS und Al-Kaida. "Meiner Meinung nach gilt ihre Loyalität an erster Stelle ihren Freunden und Verwandten im dschihadistischen Umfeld und erst dann der Gruppe", sagt Holman. Sonst hätte wohl Coulibaly seine Attacke nicht zur gleichen Zeit verübt wie die Al-Qaida-nahen Brüder.

Für die Ermittler ist Coulibaly nach ersten Einschätzungen kein solch strikter Ideologe und ausgebildeter Kämpfer wie die Kouachis und hätte sowohl in der Al-Qaida als auch im IS Inspiration finden können. Möglicherweise wurde die Entscheidung durch den rasanten Aufstieg des IS im vergangenen Jahr beeinflusst. Die Verbindungen der Kouachis zur Al-Qaida reichen hingegen weiter zurück — als es den IS noch gar nicht in dieser Form gab.

In ihren auf westliche Sympathisanten ausgerichteten Propaganda-Magazinen rufen beide Organisationen ihre "Mudschaheddin" — heilige Kämpfer — auf, Anschläge in ihren Ländern auf eigene Faust auszuführen, ohne große Einbindung der Dachorganisation. Ein Vertreter der Al-Qaida im Jemen sagte der Nachrichtenagentur AP zwar anonym, dass seine Gruppe die Attacke auf "Charlie Hebdo" dirigiert habe, ein offizielles Bekenntnis gab es allerdings zunächst nicht.

Verschiedenste Extremisten begrüßten aber die Terrorwelle der vergangenen Tage, auch wenn dafür nicht ihre Organisation verantwortlich war. Unter anderem kam Lob vom sogenannten Einäugigen, Moktar Belmoktar, dessen Gruppe sich vom nordafrikanischen Ableger der Al-Qaida abgespalten hatten, wie SITE berichtete.

Ziel solcher Loyalitätsbekundungen sei es möglicherweise, Ängste zu schüren, dass sich rivalisierenden Extremistengruppen gegen den Westen vereinigen könnten, sagte Experte Aymenn al-Tamimi. Denn schließlich sei der Westen sowohl für IS als auch für Al-Qaida der gemeinsame Feind.

(ap)
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