US-Wahlkampf historisch Wie wichtig sind Vize-Präsidentschaftskandidaten?

Analyse · Für Kamala Harris soll Tim Walz als Vize den Wahlkampf voranbringen. Wie entscheidend die Stellvertreter sein können und mit welchen Eigenschaften sie den Präsidentschaftskandidaten zum Sieg verholfen haben, zeigt ein Blick in die US-Geschichte – von Al Gore bis Joe Biden.

Zwei Präsidenten und zwei (ehemalige) Vizes: Joe Biden war unter Barack Obama acht Jahre lang Vizepräsident, Kamala Harris eine Amtszeit lang an Joe Bidens Seite als Stellvertreterin.

Zwei Präsidenten und zwei (ehemalige) Vizes: Joe Biden war unter Barack Obama acht Jahre lang Vizepräsident, Kamala Harris eine Amtszeit lang an Joe Bidens Seite als Stellvertreterin.

Foto: dpa/Carolyn Kaster

Zu zweit mehr Wählerinnen und Wähler überzeugen – das ist eine zu einfach gedachte Devise, den Kampf um die Präsidentschaft in den USA gewinnen zu können. Im Rennen um den mächtigsten Posten der Welt braucht es ausgeklügelte Strategien, die längst nicht mehr nur um die Nummer eins im Wahlkampf gesponnen werden – auch die Vize-Kandidaten spielen eine zentrale Rolle. Das zeigt auch die Spannung, mit der der Name des Mannes an der Seite von Kamala Harris erwartet worden ist. „Tim who?“ hieß es in einigen Medien dann, weil der 60-jährige Gouverneur von Minnesota bis vor Kurzem nur Wenigen außerhalb seines Bundesstaates ein Begriff war. Doch der nahbare Ältere von nebenan, der einstige Footballtrainer, Lehrer und Nationalgardist ergänzt die eher zurückhaltende Staatsanwältin Harris schon rein menschlich gut.

Politisch gilt Walz als Wunschkandidat des linken Parteiflügels, womit er Kamala Harris‘ innenpolitisches Portfolio ebenfalls um eine andere Facette bereichert. Das US-amerikanische Duo, als das die Präsidentschaftsanwärterinnen und -anwärter jeweils an den Start gehen, war immer schon eine gute Chance, sich noch mehr von Kontrahenten abzusetzen. Und manchmal auch, um die Vize-Kandidaten inhaltlich oder taktisch vorpreschen zu lassen, sich selbst aber zurückzuhalten. Drei Beispiele der jüngeren US-Geschichte zeigen, wie entscheidend Vizekandidaten mitgewirkt haben – im Wahlkampf wie im Weißen Haus.

Bill Clinton und Al Gore

Der ehemalige Vizepräsident Al Gore bei einem Auftritt im Juli.

Der ehemalige Vizepräsident Al Gore bei einem Auftritt im Juli.

Foto: AP/Jose Luis Magana

„Still the odd couple“, immer noch ein seltsames Paar, so betitelt die US-Tageszeitung „Politico“ lange nach Ende der gemeinsamen Zeit im Weißen Haus den ehemaligen Präsidenten Bill Clinton und seinen Vize Albert Arnold „Al“ Gore. Von 1993 bis 2001 war der zwei Jahre jüngere Vollblutpolitiker unter Clinton der 45. Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Aus heutiger Sicht eher ungewöhnlich: Al Gore, damals im Senat, war nur wenige Jahre zuvor selbst als Präsidentschaftskandidat angetreten – nach schweren Niederlagen bei den Vorwahlen davon aber wieder zurückgetreten. Nach zwei Amtszeiten als Vize startete er 2000 einen neuen Versuch, verlor hauchdünn gegen George W. Bush, der mehr Wahlmännerstimmen einholen konnte.

Präsent und populär wurde Al Gore durch seine Zeit als Vize aber allemal. In einer Zeit Anfang der 90er-Jahre, in der Themen wie Armut, Aids, Gleichstellung von Rassen und Ethnien sowie die Liberalisierung des Eherechts die innenpolitische Landschaft prägten, sezte er einen neuen Schwerpunkt: Umweltpolitik. Während tödliche Schießereien an Schulen die ersten großen Debatten um Waffengesetze auslösten, schaffte es Gore parallel, Aufmerksamkeit auf Umweltthemen zu richten. Mit seinem Buch „Earth in Balance“ war ihm als erster aktiver Politiker der USA 1992 ein Bestseller gelungen. Die Zeit als Vize nutze er, um vom zweitwichtigsten Posten aus am „Marshallplan für die Erde“ zu arbeiten. „Attacken während der Präsidentschaft galten oft genug Gore selbst“, schreibt der Professor für Neuere Geschichte, Bernd Stöver, in seinem Buch „United States of America - Geschichte und Kultur“. Republikanische Kandidaten, aber auch einschlägige Medien hätten intensiv versucht, die Klimaschutzdebatte ins Lächerliche zu ziehen. Außerhalb der Kreise aber fanden Gores Ideen Zustimmung – wie letztlich der Friedensnobelpreis beweist, den er 2007 für dieses Engagement verliehen bekam.

Dass ihm eine eigene Präsidentschaft später nicht gelang, wird in Teilen auf das Verhältnis zu den Clintons zurückgeführt, das im Laufe der beiden Amtszeiten immer schlechter geworden sein soll. Knackpunkt soll die Affäre Clintons mit der Praktikantin Monica Lewinsky gewesen sein, die Gore nach Bekanntwerden in einem Interview „unentschuldbar“ nannte.

Joe Biden und Barack Obama

Loyalität und wenig Drama, das soll Barack Obama bei der Wahl seines Vizekandidaten wichtig gewesen sein, heißt es. „Ich will jemanden mit grauen Haaren“, soll er seinem Kampagnenteam außerdem zugerufen haben, schrieb einst die „New York Times“. Joe Biden, 2008 schon ein politisches Schwergewicht und mit 65 Jahren vergleichsweise jung, aber erfahren genug, brachte alles mit – auf und im Kopf. Zwar hatte auch er sich zuvor zweimal um die Präsidentschaft beworben, ließ sich aber von Barack Obama als zweiter Mann nicht lange bitten.

Zurückhaltend und zugleich als starker Partner unterstützte er Obamas wichtigste Vorhaben (etwa die Gesundheitsreform oder die Erhöhung der Schuldengrenze), vertrat ihn außenpolitisch auf einem für ihn sicheren Terrain. Im Vergleich zu Al Gore an Clintons Seite war Biden eher Verbündeter und Partner als charakteristisches Gegenstück des Präsidenten. Darüber hinaus verband (und verbindet) Obama und Biden ein enges Vertrauensverhältnis, das über die Politik hinausging. Als etwa Bidens Sohn Beau 2015 an Krebs starb, hielt der Präsident eine emotionale Trauerrede. Und als die beiden Amtszeiten zu Ende gingen, sagte Obama, Biden sei „der beste Vizepräsident, den die Vereinigten Staaten jemals gehabt haben“. Er überraschte den 74-Jährigen mit der Verleihung der höchsten zivilen Auszeichnung.

Bis heute ist das Duo eng verbunden. Nach dem verpatzten TV-Duell gegen Donald Trump nahm Obama Biden öffentlich in Schutz. Er schrieb auf X: „Schlechte TV-Debatten kommen vor. Aber diese Wahl ist immer noch die Entscheidung zwischen jemandem, der sich sein ganzes Leben für die einfachen Menschen eingesetzt hat und jemandem, dem es nur um sich selbst geht.“ Obama war es wohl auch, der Biden zum Rückzug riet.

Donald Trump und Mike Pence

Ähnlich wie aktuell beim Demokratenpaar Tim Walz und Kamala Harris, sollte der Republikaner Mike Pence im Wahlkampf 2016 eine entscheidende Wählergruppe ansprechen: die konservativen Christen. Vor allem die, denen Trump zu schrill und ungläubig erschien. Pence, der einst katholischer Priester werden wollte und nach seiner Heirat zu den Evangelikalen stieß, war dafür der ideale Vizekandidat: „Ich bin ein Christ, ein Konservativer, ein Republikaner – in dieser Reihenfolge“, betonte der Jurist stets, der auch inhaltlich weit rechts bei den Konservativen zu verorten ist. Neben Themen wie niedrige Steuern und liberalere Waffengesetze nahm ihn die Bevölkerung vor allem als entschiedenen Gegner von Abtreibungen und von gleichgeschlechtlichen Ehen wahr. Er warb einst sogar für vermeintliche „Therapien“ gegen Homosexualität und leugnete den Klimawandel, wo es ging.

Insofern passte Pence nicht nur inhaltlich wunderbar zu Trump, durch seinen evangelikalen Hintergrund und sein politisches Ansehen als langjähriger Vertreter seiner Heimat Indiana im US-Senat, brachte er die nötige Seriosität in den Wahlkampf. „Pence komplettiert das Bild, er ist eine Art Schutzmantel für die offensichtliche Unmoral des Präsidenten Donald Trump“, analysiert damals Thomas Greven, Politikwissenschaftler am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin. Die vier Amtsjahre von 2017 bis 2021 an Trumps Seite genoss Pence bei der Wählerschaft das Image, beständig, cool und seiner Heimat verbunden zu sein. Neben Trump wirkte er oft fast schüchtern aber loyal, wurde außenpolitisch oft von ihm vorgeschickt. So ließ Trump Pence etwa den Ausstieg der USA aus dem Iran-Atomdeal auf der Münchener Sicherheitskonferenz verkünden.

Nachdem Pence 2020 noch für eine Wiederwahl Trumps warb, endete seine Loyalität mit dem von Trump maßgeblich befeuerten Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Als Pence den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden für ungültig erklären soll, weigert der sich unter Verweis auf die Gesetze. Der Bruch war besiegelt. „Präsident Trump lag falsch", sagt Pence Jahre später vor Politikern und Journalisten. „Sein leichtsinniges Gerede hat meine Familie und alle in Gefahr gebracht, die an diesem Tag im Kapitol waren.“ Jemand wie Trump, der die Verfassung missachte, dürfe nicht Präsident werden, so Pence, der Trump auch im aktuellen Wahlkampf seine Unterstützung entzogen hat.

Mike Pence   Foto: dpa

Mike Pence Foto: dpa

Foto: dpa/Charles Krupa

Auch wenn die Namen und Karrieren der Vizekandidaten im Laufe der Wahlkämpfe meist in den Hintergrund geraten – im Weißen Haus besetzen sie im Falle des Sieges eine entscheidende Funktion. Oft sind sie nicht nur von ihren Profilen eine Ergänzung des Präsidenten, sondern auch ein inhaltliches Korrektiv. In der Vergangenheit waren die Vizepräsidenten und die bislang einzige Vizepräsidentin oft engste Vertraute, zumindest innerhalb der Amtszeiten. Einige haben selbst versucht, den Spitzenposten zu erobern. Vielleicht schafft es auch Kamala Harris als erste Frau. Tim Walz wird sein Bestes tun.

(jra)