Hintergrund Warum die Taliban die afghanische Armee so schnell besiegen konnten

Kabul · Der schnelle Erfolg der Taliban kam für den Westen überraschend. Wie konnten die Islamisten die Armee so schnell überwältigen? Nicht nur militärische Stärke, sondern auch psychologische Kriegsführung und eine von langer Hand geplante Machtübernahme haben zum Sieg geführt. Fragen und Antworten zur Strategie.

 Ein Kämpfer der Taliban vor dem Präsidentenpalast in Kabul.

Ein Kämpfer der Taliban vor dem Präsidentenpalast in Kabul.

Foto: AP/Rahmat Gul

Warum hat die afghanische Armee die Taliban nicht gestoppt?

Als im Mai der Abzug der ausländischen Truppen begann, waren Washington und Kabul zuversichtlich, dass das afghanische Militär den Taliban starken Widerstand leisten würde. Mit mehr als 300.000 Soldaten und einer milliardenschweren, moderneren Ausrüstung schien die Armee gut gerüstet gegen die Islamisten - doch nur theoretisch.

In Wirklichkeit war das Militär bereits seit Jahren durch Korruption, schlechte Führung, mangelnde Ausbildung und sinkende Moral geschwächt. US-Inspekteure hatten immer wieder gewarnt, dass die afghanische Armee so keine Zukunft habe.

In einigen Gebieten wie Laschkar Gah im Süden versuchten die afghanischen Streitkräfte in diesem Sommer, sich den Taliban entgegenzustellen. Doch es fehlte die Unterstützung der US-Armee, vor allem aus der Luft.

Die Taliban waren zwar in der Unterzahl, jedoch hoch motiviert. Angesichts dieses Gegners desertierten viele Soldaten und ganze Einheiten oder sie ergaben sich. So konnten die Taliban Stadt für Stadt einnehmen.

Welche Strategie führte die Taliban zum Sieg?

Der Sieg der Taliban begann mit dem Abkommen, das Washington im Frühjahr 2020 mit der islamistischen Miliz schloss, womit der vollständige Abzug der US-Truppen besiegelt wurde. Viele Afghanen fühlten sich dadurch von den Vereinigten Staaten verraten und im Stich gelassen.

Die Taliban setzten auch nach dem Abkommen ihre Angriffe auf die Regierungstruppen fort. Gleichzeitig begannen sie, gezielt Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu töten und schürten so die Angst.

In ihrer Propaganda stellten die Taliban ihren Sieg als unvermeidlich dar. Medienberichten zufolge drohten sie Soldaten und Beamten in zahllosen Textnachrichten Gewalt an, sollten sie nicht kooperieren. Anderen wurde sicheres Geleit angeboten, wenn sie sich kampflos ergeben.

Welche Rolle spielten die Milizen der Warlords?

Einige der bekannten und berüchtigten Warlords Afghanistans verkündeten zu Beginn des Vormarschs der Taliban, sich den Islamisten in den von ihnen beherrschten Städten entgegenzustellen. Doch als die Schwäche der Armee und der Regierung immer offensichtlicher wurde, räumten auch die Warlords kampflos das Feld.

Kriegsherr Ismail Khan wurde bei der Eroberung von Herat festgenommen, Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed Noor flohen nach Usbekistan. Ihre Milizionäre ließen Geländewagen, Waffen und sogar ihre Uniformen auf der Flucht aus Masar-i-Scharif zurück.

Warum verlief der Vormarsch so schnell?

Schon lange vor ihrer Großoffensive im Mai hatten die Taliban offenbar damit begonnen, Abmachungen zur Übergabe zu vereinbaren. Sie drängten sowohl einzelne Soldaten und Regierungsbeamte zu Deals, als auch Provinzgouverneure und Minister. Warum sollten diese sich wehren, wenn die Taliban am Ende ohnehin siegen würden?

Die Strategie erwies sich als äußerst wirksam. Die Bilder vom Marsch der Taliban auf Kabul zeigen keine Leichen auf den Straßen oder blutige Schlachtfelder. Stattdessen sind Taliban und Regierungsbeamte auf bequemen Sofas zu sehen, während sie die Übergabe von Städten und Provinzen regeln.

Noch vor knapp einem Monat schätzte Washington, dass die Taliban in 90 Tagen die Regierung zu Fall bringen könnten. Tatsächlich dauerte es von der Eroberung der ersten Provinzhauptstadt bis zum Sturz Kabuls weniger als zwei Wochen.

(felt/AFP)
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