4500 Soldaten in der Krisenregion Afghanistan: Doch noch mehr deutsche Soldaten?

München (RPO). Die Bundesregierung denkt offenbar darüber nach, doch noch mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Eine Option: Tausend Einsatzkräfte mehr, Ausweitung des Operationsgebietes und Heraushalten der Mandatsdiskussion aus dem Bundestagswahlkampf.

Die 44. Münchener Sicherheitskonferenz - Ein Überblick
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Die Mutmaßungen um vertrauliche Regierungspläne in Berlin verliehen der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag Mittag zusätzliche Dynamik. Schnell wollten die Sicherheitsexperten von FDP und Grünen von Verteidigungsminister Franz Josef Jung Auskunft vor laufenden Kameras erhalten: Soll die Zahl der in Afghanistan eingesetzten Soldaten von 3500 auf 4500 erhöht werden? Denkt die Regierung daran, diese nicht nur im Norden, sondern auch im Westen einzusetzen?

Und soll schon im Sommer darüber entschieden werden, das Mandat dann 18 Monate laufen, damit es im Bundestagswahlkampf 2009 keine Rolle spielt? Auf alle drei Fragen gab es von Jung keine Antwort. Er bat um Verständnis, über "zukünftige Mandate keine Ausführungen machen" zu können.

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin vermutete dahinter einen Streit zwischen Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium, der "den Herrn Jung in Sprachlosigkeit versetzt". Tatsächlich ist die Lage nach Informationen dieser Zeitung noch etwas verwickelter. Danach ist das Modell "Tausend mehr und auch für den Westen" tatsächlich eine Idee, die derzeit innerhalb des Verteidigungsministeriums diskutiert wird — aber nur eine von mehreren. Und es ist offenbar auch die innerhalb des Ministeriums umstrittenste Option, die deswegen bislang auch weder mit dem Auswärtigen Amt noch mit dem Kanzleramt bereits im Detail diskutiert worden ist.

Redeschlacht vermeiden

Dagegen hat die Version, den Afghanistan-Einsatz aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten, bereits ein fortgeschritteneres Stadium erreicht, freilich nicht im Verteidigungsministerium. Denn diese Spezialfragen sind vornehmste Aufgabe des Parlamentes und werden federführend im Auswärtigen Amt vorbereitet. In den Gängen des Bayerischen Hofes, in dem die Sicherheitskonferenz stattfindet, gab es Überlegungen, Unionsabgeordnete würden das Auswärtige Amt als Quelle streuen, um Zwietracht zwischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der SPD-Fraktion zu säen.

Andererseits ist aus den Fraktionsführungen der großen Koalition bekannt, dass längst erste Überlegungen angestellt worden sind, eine hitzige Redeschlacht über Afghanistan mitten auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes zu vermeiden.

Allerdings gehen diese Überlegungen nicht dahin, die Mandatierung auf den Sommer vorzuziehen, sondern ganz turnusgemäß diesen Herbst zu entscheiden — dieses Mal aber nicht für zwölf, sondern für 15 oder 18 Monate. So käme man elegant um die Bundestagswahlen im Herbst 2009 herum.

Auf dem Podium der Konferenz skizzierte Jung die deutsche Strategie gegen den anhaltenden Druck der USA, Deutschland zu mehr militärischem Engagement auch im Süden zu bewegen. Über 30 Prozent der afghanischen Bevölkerung lebten im Norden und würden von 4000 Isaf-Soldaten geschützt. Für den Süden und Osten des Landes stünden aber jetzt bereits mehr als 38.000 Soldaten zur Verfügung. Es mache einfach keinen Sinn, im Süden mehr zu intervenieren und dabei die Präsenz im Norden zu schwächen.

Jung betonte die Bereitschaft Deutschlands, jetzt auch eine Schnelle Eingreiftruppe nach Afghanistan zu verlegen, und er hob zudem hervor, dass Deutschland die Fähigkeitslücke in der Luftaufklärung durch den Einsatz der Tornado-Jets geschlossen habe. 32 Prozent der Flüge absolvierten die deutschen Maschinen im Süden Afghanistans. Außerdem gebe es zeitlich begrenzte Unterstützung der Bundeswehr auch in Kandahar und Bagram, den Stützpunkten der Kanadier und Amerikaner im Süden und Osten des Landes.

Nur 20 Prozent der Fortschritte von Militärs beeinflusst

Die Entwicklung zusätzlicher vertraulicher Optionen weist darauf hin, dass Jungs Strategen davon ausgehen, dass diese Entscheidungen alle nicht ausreichen könnten, weitere Anforderungen der Nato an Deutschland abzuweisen. Parallel dazu wachsen in deutschen Sicherheitskreisen jedoch die Bedenken gegen einen Mechanismus, der automatisch immer wieder bei zusätzlicher militärischer Präsenz landet.

"Die Experten sagen uns doch, dass nur 20 Prozent der Fortschritte von Militärs beeinflusst werden können, aber 80 Prozent mit anderen Faktoren zusammenhängen", erläuterte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU), am Rande der Konferenz. Damit meinte er unter anderem den Aufbau der afghanischen Polizei, des afghanischen Justizwesens, der afghanischen Verwaltung. Hinzu kommt nach den Worten Jungs, dass 86 Prozent der Deutschen einen Einsatz deutscher Soldaten im Süden Afghanistans ablehnen.

Der französische Verteidigungsminister Hervé Morin stellte bei der Sicherheitskonferenz den Vorschlag vor, die Öffentlichkeit in den westlichen Ländern auch dadurch von den Erfolgen des Engagements in Afghanistan zu überzeugen, indem ein Teil des Landes nicht mehr unter der Verantwortung von Nato-Staaten stehe, sondern von der afghanischen Armee selbst übernommen wird. Gleichzeitig bekräftigte aber auch der Franzose die Initiative seines amerikanischen Amtskollegen Robert Gates: "Europa muss mehr tun für die Lastenteilung. Die europäischen Staaten müssen erwachsen werden." Es sei geradezu eine "europäische militärische Resignation" zu erkennen, die durchbrochen werden müsse.

"Lieber Franz Josef"

Diese Passage hatte Morin bezeichnenderweise mit einem Blick auf seinen deutschen Amtskollegen und mit den Worten "Lieber Franz Josef" eingeleitet. Dagegen versuchen die deutschen aktiven Politiker, ihren internationalen Kollegen in München immer wieder klar zu machen, wie umfangreich die deutsche Mission in Afghanistan ist. Einer von vielen nachdrücklichen Vergleichen: "Wenn sich alle Nato-Staaten in Afghanistan so engagieren würden wie es Deutschland längst tut, hätten wir dort 10.000 Soldaten mehr zur Verfügung."

Dramatische Worte wählte US-Senator Lindsay Graham, der für den im US-Präsidentschaftswahlkampf doch noch nicht abkömmlichen Senatskollegen John McCain eingesprungen war. "Ich bin nicht sicher, ob wir in Afghanistan siegen, aber wenn wir verlieren, wären die Konsequenzen gigantisch." Er danke den Deutschen für den Einsatz im Norden, aber der Kampf finde im Süden statt. Graham erinnerte daran, dass Deutschland "das Herz und die Seele" der Nato sei.

Das Bündnis sei schließlich "um Deutschland herum" gegründet worden. Nun gebe es einen neuen Kampf, und darin werde Deutschland "eine wichtige Rolle spielen". Grahams letzte Worte an die Deutschen und ihren Verteidigungsminister: "Gott segne sie."

(RP)
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