Taliban rücken vor Explosion in Kabul galt wohl dem afghanischen Verteidigungsminister

Kabul/Kandahar · In Afghanistan toben weiterhin heftige Gefechte. Die Taliban versuchen, in städtische Gebiete vorzudringen. In der Hauptstadt Kabul gab es einen Anschlag auf den Verteidigungsminister. Ein Überblick.

Sicherheitskräfte kommen zum Ort der Explosion in Kabul.

Sicherheitskräfte kommen zum Ort der Explosion in Kabul.

Foto: dpa/Rahmat Gul

Bei einer schweren Explosion sind in der afghanischen Hauptstadt Kabul am Dienstag mindestens zehn Menschen verletzt worden. Ziel des Anschlags sei offenbar der amtierende Verteidigungsminister Bismillah Chan Mohammadi gewesen, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Die Explosion habe sich im Stadtteil Scherpur ereignet, der in der schwer gesicherten sogenannten Grünen Zone der Hauptstadt liegt.

Ministeriumssprecher Mirwais Stanekzai sagte, anscheinend habe sich der Anschlag gegen das Gästehaus des Verteidigungsministers gerichtet. Der Minister hielt sich nach Angaben seiner Partei zum Zeitpunkt der Explosion nicht im Haus auf. Seine Familie sei in Sicherheit gebracht worden. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte ein Video, in dem Mohammadi erklärte, seine Leibwächter seien bei einem Selbstmordanschlag verletzt worden. Dies werde jedoch seine Entschlossenheit nicht beeinträchtigen, sein Land und seine Landsleute zu verteidigen.

Einzelheiten des Anschlags wurden nicht bekannt, aber offenbar drangen nach der Explosion bewaffnete Männer in das Gebiet ein. Stanekzai erklärte, alle vier Angreifer seien von Sicherheitskräften getötet worden. Die Polizei kontrolliere die Umgebung. Alle Straßen, die zum Haus des Ministers und zum Gästehaus führten, seien gesperrt worden.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums teilte mit, mindestens zehn Verletzte seien in Krankenhäuser gebracht worden. Hunderte Bewohner der Gegend wurden nach Polizeiangaben in Sicherheit gebracht. Zu der Explosion bekannte sich niemand.

Derzeit treiben die Taliban eine Offensive voran, die auch Provinzhauptstädte im Süden und Westen des Landes unter Druck setzt. Die Terrororganisation IS verübte zuletzt Anschläge in Kabul. Bei den meisten Taten blieb der Hintergrund jedoch unklar, während die Regierung und die Taliban sich gegenseitig die Schuld zuwiesen.

In der Provinzhauptstadt Laschkar Gah im Süden des Landes lieferten sich Regierungstruppen am Dienstag Häuserkämpfe mit den vorrückenden radikalislamischen Taliban. Die Vereinten Nationen forderten das Ende der Kämpfe in städtischen Gebieten.

Ein afghanischer Kommandeur rief die Bewohner von Laschkar Gah auf, die Stadt „so schnell wie möglich“ zu verlassen. „Ich weiß, dass es sehr schwierig für euch ist (...), es ist auch hart für uns“, ließ General Sami Sadat über die Medien mitteilen. Aber die Armee werde bald eine Gegenoffensive starten, und „wir bekämpfen die Taliban wo auch immer sie sind.“

„Die Taliban sind überall in der Stadt, sie fahren auf Motorrädern durch die Straßen“, sagte ein Bewohner von Laschkar Gah der Nachrichtenagentur AFP. „Sie nehmen Menschen fest, die Smartphones haben, oder erschießen sie“. Weil die Aufständischen auch in den Häusern seien, habe die Regierung damit begonnen, diese zu bombardieren.

Die UN-Unterstützungsmission für Afghanistan zeigte sich „zutiefst besorgt“ angesichts der Lage der rund 200.000 Bewohner der Provinzhauptstadt. Demnach waren neben den Bodentruppen der Taliban vor allem Luftangriffe der afghanischen Armee gefährlich für die Zivilbevölkerung. Nach UN-Angaben wurden seit Montag mindestens 40 Zivilisten getötet und mehr als hundert weitere verletzt.

Die Islamisten hatten am Montag das Stadtzentrum von Laschkar Gah angegriffen. Lokalen Medienberichten zufolge wurde um das Gefängnis sowie das Polizeihauptquartier am Dienstag weiter gekämpft.

Die vollständige Einnahme der Hauptstadt der Provinz Helmand durch die Taliban wäre ein harter Schlag für die Regierung. Der Verlust städtischer Gebiete könnte die Dynamik des Konflikts nach Einschätzung von Experten zugunsten der Islamisten verändern. Seit dem Beginn des Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes erobert, bislang aber keine größeren Städte.

In der ebenfalls belagerten Provinzhaupttadt Herat im Westen Afghanistans wehrten die Regierungstruppen nach offiziellen Angaben einen Angriff der Taliban ab. Insbesondere der für die Versorgung wichtige Flughafen sei wieder unter Kontrolle. Allerdings schlugen dort am Nachmittag erneut Raketen ein, zwei Flüge wurden gestrichen, wie der Flughafenchef sagte.

Sowohl in Herat als auch in Laschkar Gah flog die US-Luftwaffe nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums Luftangriffe auf Stellungen der Taliban. Die in Afghanistan verbliebenen US-Truppen hatten zuletzt wieder vermehrt eingegriffen, um den Vormarsch der Islamisten zu stoppen. Beobachter befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der Nato-Truppen wieder die Kontrolle in Afghanistan übernehmen könnten.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte, dass die Bundesregierung weiterhin an Abschiebungen nach Afghanistan festhält. Sie „zieht alle Register, um die Menschen noch gerade rechtzeitig loszuwerden, bevor die Taliban auch Kabul eingenommen haben“, erklärte die rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl, Wiebke Judith. „Das offenbart eine menschenverachtende Haltung.“

Österreich stoppte derweil nach einer einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die geplante Abschiebung eines abgelehnten afghanischen Asylwerbers. Der EGMR begründete seine Entscheidung mit der „Sicherheitslage“ am Hindukusch. Die Regierung in Wien sprach aber von einem Einzelfall, es gebe kein „pauschales Verbot“ von Abschiebungen.

(peng/hebu/AFP)
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