Deutschland und Frankreich In Aachen. In aller Freundschaft.

Aachen · Die Kanzlerin und der französische Präsident beschwören in Aachen den europäischen Geist – trotz lautstarker Proteste. Beim „Bürgerdialog“ lässt sich beobachten, wie unterschiedlich die beiden Politiker ticken.

Angela Merkel würde so gern Französisch sprechen können. Dann würde sie jetzt ohne Übersetzer verstehen, wie Emmanuel Macron beim Dialog mit Bürgern in Aachen den neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag erklärt. Die Kanzlerin ist fasziniert von dieser melodischen Sprache, von der sie kaum ein Wort versteht oder aussprechen kann. Diese nasalen Vokale liegen ihr einfach nicht. In der DDR hat sie so gut wie nie Französisch gehört und später keine Zeit mehr gehabt, es zu lernen. Für die Rente ist das aber noch ein Herzensprojekt der 64-Jährigen, die angekündigt hat, 2021 mit der Politik aufzuhören. Der Unterschied zum französischen Staatspräsidenten ist aber auch an diesem großenTag der Unterzeichnung des Vertrags von Aachen, dass Merkel selbst auf Deutsch nie so reden würde, wie es dem jungen Franzosen vor aller Welt ganz leicht über die Lippen geht.

Der 41-Jährige spricht von der Liebe zu den Vaterländern, der Liebe zu Deutschland, der Liebe zu Europa, dem schmerzlichen Brexit, von Solidarität und Schutz, von Träumen und Herzen im aufgewühlten Europa, mon amour, oh chérie, „Freundschaft ist stärker“. Merkel sei immer an der Seite Frankreichs.

Aber die deutsch-französische Freundschaft ist ja kein Gedicht, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betont, der Deutsch, Französisch und noch andere Sprachen fließend spricht: „Die deutsch-französische Freundschaft ist Wirklichkeit.“ Ganz schnörkellos. Und großartig, wenn man an all den Hass und die Kriege denkt, die beide Länder einst zu Feinden machten.

Der Vertrag von Aachen sei das Gegenteil von „Mein Land zuerst“, sagt Ministerpräsident Armin Laschet, ohne US-Präsident Donald Trump zu nennen. Wie sehr aber auch Spitzenpolitiker in der Europäischen Union bei Bürgern in Ungnade gefallen sind, bekommt er während seiner Rede im prächtigen Krönungssaal des Aachener Rathauses zu spüren. Bis hierher sind Protestrufe von draußen zu hören.

Es herrschen knackige drei Grad minus draußen vor dem Rathaus, das Publikum hier ist farblich sauber sortiert. Weiter vorne, wo die schwarzen Limousinen mit den Ehrengästen vorgefahren sind, tanzen die blauen Luftballons der Europa-Freunde im Wind, und es wird gejubelt. Zwanzig Meter dahinter, sorgfältig abgetrennt mit zwei Reihen Stahlbarrieren, trägt man neongelbe Warnwesten, und als die Kanzlerin eintrifft, erschallen „Merkel raus!“-Rufe. Kurz darauf brüllen Demonstranten auch „Macron, démission!“ („Macron, Rücktritt!“) – mit deutschem Akzent. Diese „Gelbwesten“ hatten keine lange Anreise, aber sie benutzen dieselben Parolen wie ihre französischen Vorbilder. „Wir einfachen Leute müssen uns wehren gegen die da oben!“, ruft eine Frau in ihr Megafon. Später wird ein französischer Diplomat darüber sinnieren, dass das doch eigentlich eine ganz positive Sache sei, wie der politische Protest in Europa nun auch Grenzen überschreite. „Auch da wächst eben etwas zusammen.“

In der Aula Carolina, einem historischen Säulensaal, nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, wirken Merkel und Macron beim Bürgerdialog mit etwa 80 vorwiegend jüngeren Leuten entspannt. Sie wissen: Hier ist niemand auf Krawall gebürstet. Kritische Fragen gibt es trotzdem. Etwa zur gemeinsamen Rüstungs- und Verteidigungspolitik, deren Ausbau sich Deutschland und Frankreich im Vertrag von Aachen auch vorgenommen haben.

Aber wie soll das künftig gehen, wenn Berlin ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien verhängt, Paris aber weiter liefern will? „Keine Frage“, räumt Merkel ein, es gebe  in diesem Punkt deutliche „kulturelle“ Unterschiede. Aber, betont Macron, man habe gar keine andere Wahl: „Wenn wir uns als Europäer eine strategische Handlungsfähigkeit in dieser Welt bewahren wollen, müssen wir auf diesem Gebiet viel enger zusammenrücken.“ Kulturelle Unterschiede, so merkt er an, gebe es ja auch noch auf anderen Gebieten.

Zum Beispiel beim Geld. „Da haben wir Franzosen in der Vergangenheit vielleicht zu stark den Fokus auf das Ausgeben gelegt und die Deutschen zu sehr auf verbissenes Sparen. Es wäre gut, wir würden uns da künftig irgendwo in der Mitte treffen.“ Aber werden die anderen Europäer bei diesem neuen Leuchtturm-Projekt denn auch mitziehen, will eine französische Studentin wissen. In Zeiten des Brexit scheine die Europäische Union doch eher auseinanderzudriften. „Eben deswegen“, sagt Macron, „ist dieser neue deutsch-französische Vertrag ja so wichtig.“ Dieses Projekt sei ein Angebot an ganz Europa.

Ein Physik-Student findet, Merkel könne jetzt, da sie nur noch zwei Jahre in der Politik bleiben will, doch auf den Putz hauen. „Zeigen Sie noch einmal, dass Sie mutig und visionär sein können.“ Merkel rümpft die Nase. Gut 13 Jahre Kanzlerschaft zeugen ihrer Ansicht nach schon von viel Mut. Sie findet eine Formel, die den Geist des neuen Vertrags vielleicht am treffendsten beschreibt: „Altes wollen wir angleichen, und Neues wollen wir gleich gemeinsam machen.“ So einfach sich das anhört, ist es doch visionär.

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