39 Leichen in einem Container Nach dem grausamen Fund in Essex sind viele Fragen offen

Britische Rettungskräfte haben 39 Leichen in einem Lkw entdeckt. Bei den Toten handelt es sich um 38 Erwachsene und einen Teenager. Noch sind viele Fragen offen.

 Ein Polizist sichert den Lastwagen, in dem die vielen Leichen gefunden worden waren.

Ein Polizist sichert den Lastwagen, in dem die vielen Leichen gefunden worden waren.

Foto: AFP/BEN STANSALL

Die britische Polizei untersucht einen schrecklichen Fall von Massenmord in der englischen Grafschaft Essex. In der Nacht zum Mittwoch wurden 39 Leichen in einem Lkw-Container entdeckt. Ambulanzfahrer hatten in den frühen Morgenstunden um 1.40 Uhr die Polizei zu einem Gewerbegebiet in Grays gerufen, eine Stadt 30 Kilometer östlich von London. Dort, im Waterglade Industrial Park, stand ein roter Lastkraftwagen mit bulgarischen Kennzeichen. Im Container-Anhänger des Fahrzeugs fanden die Polizisten die Leichen von 38 Erwachsenen und einem Teenager. Es gab keine Überlebende.

„Dies ist ein tragischer Vorfall, bei dem eine große Zahl von Menschen ihr Leben verloren haben“, sagte Polizeichef Andrew Mariner. „Wir sind dabei, die Opfer zu identifizieren, aber ich nehme an, das könnte länger dauern.“ Doch es gebe einen Tatverdächtigen: „Wir haben den Lkw-Fahrer im Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen, und er verbleibt in Haft, während unsere Untersuchungen weitergehen“, so Mariner. Bei dem Mann soll es sich um einen 25-jährigen Nordiren handeln.

Die britische Polizei erklärte, der Lastwagen sei von Belgien aus nach Großbritannien gekommen. Er soll vom belgischen Hafen Seebrügge aus in der Nacht zum Mittwoch gegen 1.30 Uhr per Fähre im Hafen von Purfleet in England eingetroffen sein. Zunächst hieß es, der Lkw sei über Irland nach Großbritannien gelangt. Nach Angaben des bulgarischen Außenministeriums war der Lkw in der bulgarischen Hafenstadt Varna registriert. Das Ministerium teilte mit, der Lkw gehöre einem Unternehmen, das einer Irin gehört.

Die britische Innenministerin Priti Patel sagte, dass sie „geschockt und erschüttert über diesen absolut tragischen Vorfall“ sei. Auch Premierminister Boris Johnson zeigte sich entsetzt. „Ich bekomme regelmäßig Updates“, twitterte er, „und arbeite eng mit der Polizei zusammen, um herauszufinden, was passiert ist. Meine Gedanken sind jetzt mit all jenen, die ihr Leben verloren haben, und mit ihren Angehörigen.“

Die Polizei hatte allerdings im Laufe des Mittwochs wenige Fortschritte machen können. Bei einer Pressekonferenz am Mittag konnte die stellvertretende Polizeichefin von Essex, Pippa Mills, keine neuen Informationen anbieten. Stattdessen appellierte sie an die Öffentlichkeit für Informationen über den Lastkraftwagen und seine mögliche Route.

Andere Fragen, die Pippa Mills nicht beantwortete, lauteten: Wer hatte die Ambulanzfahrer alarmiert, die wiederum die Polizei benachrichtigten? Wusste der nordirische Fahrer des Lasters, dass sich im Container 39 Menschen befanden? Auch über die Identität der Opfer ist die Polizei weiter im Unklaren.

Jackie Doyle-Price, die Unterhaus-Abgeordnete für Grays, legte den Finger auf den offensichtlichen Hintergrund der Tragödie: „Menschenschmuggel ist ein abscheuliches und gefährliches Geschäft.“ Zwar ist es zur Zeit noch Spekulation, davon auszugehen, dass die Opfer Flüchtlinge sind, da ihre Nationalität noch nicht bekannt ist. Doch die Vermutung liegt nahe, dass es sich um ins Land geschleuste Migranten handelt. Innenministerin Priti Patel scheint davon jedenfalls auszugehen. Bei einem Statement im Unterhaus sagte sie, dass ihre Beamten sich jetzt mit den einschlägigen Stellen wie Grenzschutz und der Einwanderungsbehörde zusammenschließen. Labours innenpolitische Sprecherin Diane Abbott appellierte an Patel, die Zusammenarbeit mit den EU-Partnern bei der Bekämpfung des Menschenschmuggels zu intensivieren. Der Brexit dürfe nicht zu weniger Kooperation führen.

Die „National Crime Agency“ hatte im vergangenen Jahr gewarnt, dass die Route vom Kontinent über Irland nach Großbritannien zur weichen Flanke des Königreichs geworden ist. Die schärfsten britischen Grenzkontrollen finden im Fährhafen Dover statt. Wer jedoch von der irischen Insel kommend in Holyhead landet, hat überhaupt keine Kontrollen zu befürchten. Der irische Premierminister Leo Varadkar kündigte an, den Fall untersuchen zu lassen.

Der grausame Fund in Essex erinnert an ähnliche Fälle in der Vergangenheit. Im Juni des Jahres 2000 wurde ein Lastkraftwagen im Fährhafen Dover gestellt, der über das belgische Zeebrugge eingereist war. Im Frachtraum fand die Polizei die Leichen von 58 chinesischen Immigranten. Der niederländische Fahrer des Fahrzeuges wurde im darauffolgenden Jahr wegen Totschlags zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Und eine andere Flüchtlingstragödie vom August 2015 drängt sich in den Sinn: Damals wurde im österreichischen Parndorf ein abgestellter Kühllaster entdeckt, in dessen Frachtraum 71 Leichen gefunden wurden. Es waren Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan, aus dem Iran und Syrien, die von ungarischen Schleppern über die Grenze nach Österreich gebracht worden waren.

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