Berlin Aufstand der Wissenschaftler

Berlin · Die Erklärung seines Doktorvaters markierte wohl den Wendepunkt im politischen Überlebenskampf des Karl-Theodor zu Guttenberg: Erst als sich nach einer Woche des Schweigens am Montag auch der emeritierte Bayreuther Rechtsprofessor Peter Häberle von seinem Doktoranden Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) distanzierte, war eindeutig, dass der Minister seinen Kampf nicht mehr gewinnen konnte. Zuvor hatten Häberles Nachfolger Oliver Lepsius und andere Vertreter der Wissenschaftsszene mit kaum noch steigerbarer Kritik den Minister weidwund geschossen.

Der beispiellose, einheitliche und nicht mehr zu überhörende Protest deutscher Wissenschaftler gegen Guttenbergs zweifelhafte Methoden hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der CSU-Politiker trotz höchster Popularitätswerte nicht mehr zu halten war. "Der Aufstand der Wissenschaftler hat das Fass zum Überlaufen gebracht", sagte der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker.

Häberle sprach am Montag von "unvorstellbaren Mängeln" in Guttenbergs Doktorarbeit. Es sei vorschnell von ihm gewesen, dass er sich nach Bekanntwerden der Vorwürfe zunächst hinter seinen früheren Schützling gestellt habe.

Lepsius wurde schärfer: "Wir sind einem Betrüger aufgesessen. Es ist eine Dreistigkeit ohnegleichen, wie er honorige Personen der Universität hintergangen hat", ätzte Lepsius. Der Jura-Professor fürchtet um den bisher noch tadellosen Ruf seiner Fakultät. Schon sollen ihm Studenten reihenweise davonlaufen.

In den Chor der Kritiker fielen alle führenden Wissenschaftsvertreter ein: Der Hochschulverband, die Forschungsgemeinschaft und der Kulturrat waren entsetzt, wie die Kanzlerin und ihr Minister den Diebstahl geistigen Eigentums verharmlosten. 20 000 Doktoranden protestierten schließlich in einem offenen Brief an Merkel gegen den Versuch, wissenschaftliche Grundprinzipien zu opfern, um einen populären Minister im Amt zu halten.

Auch Forschungsministerin Annette Schavan (CDU), eine Vertraute Merkels, wagte sich endlich aus der Deckung: Sie, die selbst vor 31 Jahren eine Dissertation geschrieben habe, schäme sich "nicht nur heimlich" für den Vorgang.

Wissenschaftsvertreter reagierten gestern entsprechend erleichtert auf den Rücktritt. "Es wäre schlimm gewesen, wenn sich der Eindruck verfestigt hätte, dass es in der Wissenschaft mit Lug und Trug zugeht und dass dies ohne weitere Konsequenzen für die berufliche Laufbahn bleibt. Diese Marginalisierung von Wissenschaft hat uns empört", sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, unserer Zeitung. "Das systematische Abschreiben bei der Doktorarbeit wurde auf eine Ebene mit Lausbuben-Streichen gestellt." Das sei beunruhigend gewesen. "Deshalb ist es gut, dass mit dem Rücktritt des Ministers die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wurden."

(RP)
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