Irak Aufbau Nahost

Tikrit · Deutschland ist der größte Geldgeber im Irak. Innerhalb von zwei Jahren ist eine Milliarde Euro geflossen. Ein Ortsbesuch in Tikrit.

Links und rechts der Autobahn nach Tikrit sieht man gesprengte und zerschossene Häuser. Die Zerstörung ist niederschmetternd. Viele Dörfer sind auch Monate nach ihrer Befreiung noch unbewohnbar. Ganze Landstriche sind völlig verwaist. "Hier war überall Daesh", sagt Taxifahrer Aseel und nennt die Terrormiliz IS bei ihrem arabischen Namen. Gut 160 Kilometer sind es von Bagdad nach Tikrit, Saddam Husseins Heimatstadt und einstige Machtbastion. Von hier kamen die meisten Führungskader seines Regimes, hier rekrutierte er viele Offiziere und Generäle, hier fühlte sich der Diktator unter seinesgleichen. Tikrit war nach Mossul die zweite Großstadt, die der Islamische Staat im Juni 2014 eroberte. Und Tikrit war die erste Stadt, die nach neun Monate Dschihadisten-Herrschaft wieder befreit wurde.

Eigentlich waren es die Amerikaner, die das meiste Geld für den Wiederaufbau Iraks zugesagt haben, aber sie sind ihren Verpflichtungen nicht in vollem Umfang nachgekommen. So rückte Deutschland auf Platz eins der Geberländer. Jeweils 500 Millionen Euro wurden in den letzten beiden Jahren in den Irak überwiesen - eine gewaltige Summe. Und doch erscheint sie wie ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der enormen Schäden, die die dreijährige IS-Herrschaft im Land verursacht hat.

Wohin die deutschen Millionen geflossen sind, versuchte eine Anfrage der Grünen im Bundestag zu ergründen. Es sei alles ausgegeben worden, antworteten das Außenministerium und das Ministerium für Zusammenarbeit (BMZ), das den größten Anteil verwaltete. Das meiste Geld wurde demnach für Binnenflüchtlinge ausgegeben, für den Aufbau von Lagern für die Betreuung der Menschen. Mehr als drei Millionen Iraker seien innerhalb des Landes vor dem IS auf der Flucht gewesen, sagt die Uno. Die Deutschen investierten ihr Geld vor allem in den Kurdengebieten, wo viele der Flüchtlinge strandeten und viele Hilfsorganisationen ansässig sind. Im Rest des Landes wurden dagegen nur wenige Projekte finanziert. Eines davon ist Tikrit.

Für die Bundesregierung ist Tikrit die Erfolgsgeschichte ihrer Irak-Hilfe schlechthin. Besonders in Kreisen der SPD wurde der Wiederaufbau Tikrits in den höchsten Tönen gelobt. "Wir bauen Tikrit wieder auf", verlautete sogar in manchen SPD-Ortsverbänden. Der ehemalige Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobte Tikrit als gelungenes Beispiel, wie eine Stadt nach ihrer Befreiung vom IS rehabilitiert werden könne. Auch Thomas Silberhorn (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im BMZ,pries die Stabilisierungshilfen für Tikrit. In der Stellungnahme für den Bundestag über Ziel und Zweck der verwendeten Mittel schrieb er: "Im Rahmen der Stabilisierungsfazilität wird zerstörte Basisinfrastruktur rehabilitiert, werden Beschäftigungsmöglichkeiten geboten und die Arbeit der Regierungsstrukturen gestärkt." Deutschland habe bis Ende 2016 insgesamt 60,1 Millionen Euro für Tikrit ausgegeben und an die Uno weitergereicht. Viele frühere Bewohner seien zurückgekehrt. "Die Bevölkerung der Stadt Tikrit besteht nach der Befreiung und der Rückkehr der meisten Binnenvertriebenen wie zuvor fast ausschließlich aus Sunniten."

Woher er das weiß, verrät Silberhorn freilich nicht. Kein deutscher Politiker ist jemals nach der Befreiung Tikrits dort gewesen. Aus Sicherheitsgründen rät das Auswärtige Amt deutschen Staatsbürgern von einer Reise dorthin dringend ab. Er habe noch keinen Deutschen gesehen, sagt der für die UN-Aufbauorganisation (UNDP) Verantwortliche. "Die Amerikaner haben jetzt angefangen, ihre Projekte zu evaluieren", erzählt Ma'shan, "die Deutschen tun das nicht."

Fast zwei Drittel des Geldes aus Deutschland wurde in den Kurdengebieten ausgegeben. Hier profitierten vor allem die großen internationalen Hilfsorganisationen wie Care, Welthungerhilfe, Safe the Children, Caritas und die staatliche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ. Im Rest Iraks bekamen die UN-Organisationen wie das Kinderhilfswerk Unicef oder die UNDP den Löwenanteil. Auch die GIZ bekam einige Millionen zugewiesen, tat sich allerdings schwer, in Bagdad Fuß zu fassen. Unsummen wurden allein für Sondierungsmissionen ausgegeben. Gut zwei Jahre dauerte es, bis eine geeignete Unterkunft für das Personal gefunden war. Für jede Ausfahrt aus der streng gesicherten Grünen Zone, wo die GIZ-Mitarbeiter vorübergehend unterkamen, kassierten Sicherheitsfirmen bis zu 2000 US-Dollar.

"Nachdem Daesh vertrieben war, waren wir allein in der Stadt", erzählt Ma'shan von UNDP über die Zeit vor zweieinhalb Jahren in Tikrit. Nicht einmal Hunde und Katzen habe es noch in der Stadt gegeben. Alle 185.000 Einwohner waren geflohen, Tikrit zur Geisterstadt verkommen. Nirgends sonst im Irak lag das Schlachtfeld auf so engem Raum. Auf dem Gelände der Universität richteten sowohl Hashd al Shaabi, die Schiitenmilizen, als auch die IS-Kämpfer ihre Hauptquartiere ein. Sie beschossen sich von einem Gebäudekomplex zum anderen. Manche tranken Tee zusammen am Tag und töteten sich in der Nacht.

Als die Schlacht beendet war, lag die Universität in Trümmern. Sie schnell wieder aufzubauen, wurde zum vordringlichen Ziel von UNDP. Die Universität als gesellschaftlicher Kristallisationspunkt sollte wiederhergestellt werden: Wenn die Bildung wieder funktioniert, kommen die Menschen zurück, so das Kalkül. Fast jede Familie hatte vor den Kämpfen ein Mitglied an der Uni, so die Überlegung. Der Betrieb der Hochschule war während der Besatzung der Dschihadisten nach Kirkuk oder Erbil ausgelagert worden. Die UNDP reagierte schnell und unbürokratisch, ungewöhnlich für die ansonsten behäbige Institution. Innerhalb von 45 Tagen wurden neue Gebäude erstellt, Wasser und Strom installiert, 34 Wohnungen für Studenten gebaut, Toiletten und Waschräume errichtet, eine neue, knallrote Mensa aus dem Boden gestampft. Um Korruption zu vermeiden, wurde die Vergabe der Aufträge in Bagdad koordiniert, Ma'shan überwachte die Arbeiten vor Ort: "Wir wurden als die Provinzregierung angesehen."

Die Rechnung ging auf. "Als im Oktober 2015 der Lehrbetrieb wieder aufgenommen wurde, kamen am ersten Tag nur 50 Studenten", erzählt Ahmed Taez, Professor für Agrikultur. "Einen Monat später waren es bereits 20.000." Heute habe die Zahl der Studenten in Tikrit zwar noch nicht das Niveau von früher erreicht, "aber wir sind auf einem guten Weg." Taez führt die Besucher über das Gelände, zeigt die neuen Vorlesungsräume, aber auch die ehemaligen Versuchsanlagen, die noch nicht wieder hergestellt sind. Die IS- Kämpfer hätten sämtliche hier gehaltenen Tiere jämmerlich verenden lassen. Als Erstes hat der Professor jetzt eine Wachtelfarm aufgebaut, wo das Verhalten bei unterschiedlicher Lichteinwirkung getestet wird. Erfreulicher Nebeneffekt: Jeden Morgen bekommen Taez und seine Familie frische Wachteleier zum Frühstück.

Doch wie schwierig der Wiederaufbau ist, zeigt sich am Beispiel Tikrits nur zu deutlich. Auch fast drei Jahre nach der Vertreibung der Dschihadisten kennt die Stadt noch keine politische Stabilität, kommt es hin und wieder zu Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen und erheblichen Interessenskonflikten. Auch das Stadtbild zeigt nach wie vor tiefe Wunden. Während die Universität komplett neu aufgebaut wurde, weisen viele Häuser im Zentrum der Stadt noch gewaltige Schäden auf. Auch die Strom- und Wasserversorgung sei noch nicht komplett wieder hergestellt, sagen Einwohner der Stadt, obwohl die UNDP auch mit deutschem Geld tätig war. Die Moschee an der Hauptstraße, die Saddam Hussein zu Ehren seines Vater erbauen ließ, wird wohl nie wieder aufgebaut werden. Sie wurde von den Schiitenmilizen zerstört, als diese die Stadt einnahmen - ein Mahnmal der Zerstörung im Irak.

(RP)
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