Gastbeitrag Auf dem Weg in die Transferunion

In der CDU unter Angela Merkel verblasst das Wirtschaftsprofil, die Diskussionskultur und die Souveränität des Parlaments. Nun bereiten Union und SPD eine "gemeinsame Kasse" in der EU vor. Ein Dammbruch.

 Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 7. Januar vor dem Start der Sondierungsgespräche zwischen SPD, CDU und CSU.

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 7. Januar vor dem Start der Sondierungsgespräche zwischen SPD, CDU und CSU.

Foto: dpa, bvj

Nach Abschluss der "Sondierungsgespräche" zwischen CDU und SPD ist eine "verkehrte Welt" entstanden: Die CDU-Chefin umwirbt die SPD-Führung, die sie im Wahlkampf demonstrativ missachtet hat, und hofft gespannt auf einen positiven Ausgang der Parteitagsdiskussionen, damit ihr Regierungsführerschein verlängert wird. Auf der anderen Seite hält sie es nicht für nötig, eine Diskussion in der eigenen Partei zu führen, um für ihr Programm zu werben und den nach ihrer Meinung notwendigen Kompromiss für ein gemeinsames Regierungsprogramm zu verteidigen.

Welch eine Arroganz der Macht! Und welch ein Niedergang der früher starken Volkspartei der CDU, auf deren Parteitagen nur noch im Ausnahmefall Programmdiskussionen stattfinden. Die brave Folgsamkeit gegenüber dem in einem kleinen Küchenkabinett entwickelten Programm der Vorsitzenden wird mit dem vorrangigen Interesse der führenden Parteimitglieder an Parlamentssitzen und Regierungsämtern erklärt, die bisher aufgrund der Popularität von Frau Merkel zahlreich und gesichert waren. Die Linksverschiebung der CDU bis hin zu dem rein sozialdemokratischen Programm der letzten Regierung wird von den leistungsorientierten und konservativ-bürgerlichen Parteimitgliedern und Funktionsträgern zwar im vertrauten Kreis zunehmend kritisiert, aber nicht öffentlich geäußert, um die eigenen Karrierechancen nicht zu gefährden.

Als ich in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Vorsitzender des Wirtschaftsrats der CDU war, haben wir auf den Bundesparteitagen strittig, aber konstruktiv unsere unterschiedlichen Anschauungen diskutiert. Abends beim Bier haben wir dann freundschaftlich zusammengesessen.

Von dieser offenen Parteiendemokratie ist bei der CDU nicht viel übrig geblieben. Frau Merkel, oft emotional beeinflusst wie in der Flüchtlingsfrage oder bei der Energiewende nach Fukushima, bespricht ihre Vorstellungen im kleinen Kreis von Vertrauten, der dann die Aufgabe hat, die Politik in den Parteigremien und der Fraktion durchzusetzen. Wer es wagt, die Stimme dagegen zu erheben, erlebt ein Ende seiner politischen Karriere beziehungsweise wird auf die Hinterbank gesetzt. Die einzige Ausnahme ist Jens Spahn, der die Protektion von Wolfgang Schäuble genießt, an den sich Frau Merkel nicht herantraut. Das ist ein autoritärer Führungsstil, der mit einer offenen Diskussionskultur und Respekt vor der Persönlichkeit des Einzelnen nicht mehr viel gemeinsam hat.

In diesem Zusammenhang ist die Rolle des Parlaments für die Abgeordneten der Regierungskoalition zu einer Akklamationsveranstaltung verkommen. Nach dem Grundgesetz ist es zwar die Aufgabe des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren. De facto haben wir heute aber den umgekehrten Zustand, in dem die Fraktionsführung den Abgeordneten die politische Linie bindend vorgibt und die Auswahl der Redner im Parlament bestimmt.

Besonders deutlich wurde dies bei der Diskussion der "Euro-Rettungspakete" vor einigen Jahren, die unter den Bürgern und damit auch den Abgeordneten zu Recht äußerst umstritten waren. Die Sitzung im Parlament wurde auf den späteren Freitagnachmittag gelegt, wo viele Abgeordnete nicht mehr anwesend waren. Die Entscheidungen wurden "durchgewinkt", abweichende Meinungen der Abgeordneten der Regierungsfraktionen unterdrückt.

Eine besonders bedrohliche Entwicklung zeichnet sich hinsichtlich der Ausschaltung des deutschen Parlaments bei Fragen der europäischen Währungsunion ab. In den Maastricht-Verträgen war ausdrücklich festgelegt worden, dass die Währungsunion sich nicht zu einer "Transferunion" entwickeln sollte, das bedeutet, dass die wohlhabenderen Staaten die schwächeren nicht dauerhaft subventionieren sollten. Für eine "gemeinsame Kasse" sind die Staaten der Eurozone noch nicht reif und auch nicht bereit. Das deutsche Volk will seinen relativen Wohlstand gegenüber anderen Euroländern nicht für eine dauernde Subventionierung und gegenseitige Schuldenhaftung opfern. Zu einem europäischen Bundesstaat sind unsere Bürger noch nicht bereit.

In dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche ist hier ein Dammbruch programmiert, der bisher kaum beachtet wird: SPD-Chef Martin Schulz hat durchgesetzt und die CDU-Vertreter haben es zugelassen, dass unter dem Stichwort der "Vertiefung der Währungsunion" die Schleusen für die Transferunion geöffnet werden. Bisher wurde dies vom früheren CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble erfolgreich verhindert, was uns bei den anderen Ländern unbeliebt gemacht hat. Wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt, ist "das Brüsseler Erstaunen groß, weil Schwarz-Rot buchstäblich über Nacht alle Prinzipien aufgegeben hat". Abgesehen von den - ja schon gewohnheitsmäßig gebrochenen - Maastricht-Verträgen waren die Argumente Schäubles damals Hürden im deutschen Verfassungsrecht, die das Veto der Bundesregierung ermöglichten. Nun ist vorgesehen, dass der nächste Schritt der Schuldenländer zur Teilhabe am deutschen Staatseigentum über den Eurokrisenfonds ESM erfolgen soll, der zu einem "parlamentarisch kontrollierten europäischen Währungsfonds" weiterentwickelt werden soll.

Damit wäre dem deutschen Bundestag eine Mitbestimmung verwehrt und die Entscheidungen dem europäischen Parlament anheim gegeben. Damit wird die letzte Hürde für die längerfristige Nivellierung des deutschen Wohlstands auf das durchschnittliche mittlere Niveau aller Euro-Mitgliedsstaaten genommen. Auch hier scheint die CDU-Chefin bereit zu sein, in einer Schicksalsfrage der Deutschen eiserne Prinzipien aufzugeben und ihren persönlichen Karrierezielen zu opfern.

(RP)
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