Debatte um Enteignungen Auch im Kapitalismus geht Beteiligung

Meinung | Düsseldorf · Analyse Juso-Chef Kevin Kühnert fordert den demokratischen Sozialismus und Betriebe in öffentlichen Besitz überführen. Dabei können auch in der Marktwirtschaft Staat und Mitarbeiter Firmen besitzen.

 Der Twitter-Konzern, mit Sitz in San Francisco, hat seine Mitarbeiter beim Börsengang zu Millionären gemacht.

Der Twitter-Konzern, mit Sitz in San Francisco, hat seine Mitarbeiter beim Börsengang zu Millionären gemacht.

Foto: dpa/Christoph Dernbach

Mit seinen Ideen zur Vergesellschaftung von Unternehmen und zum demokratischen Sozialismus hat Juso-Chef Kevin Kühnert vor allem für Kritik aus der Wirtschaft gesorgt. Doch welche Möglichkeiten gibt es eigentlich in einer kapitalistischen Marktordnung wie unserer, Firmen zu organisieren? Wie lassen sich Mitarbeiter beteiligen, damit sie vom Erfolg ihres Betriebs profitieren, ohne gleich den Sozialismus auszurufen? Dass das nämlich durchaus ohne einen ohnehin utopischen Systemwechsel möglich ist, zeigt dieser Überblick über die wichtigsten Betriebsformen – von staatlichen Unternehmen bis zu Genossenschaften.

Öffentliche Unternehmen sind Unternehmen, die der Bund, ein Land oder eine Kommune unmittelbar oder mittelbar kontrollieren. Sie sind in Deutschland vor allem dort entstanden, wo Netze zur Produktion nötig sind – also bei der Wasser-, Strom-, Energie- oder Telefonversorgung oder im Bahnbetrieb. Laut seinem Beteiligungsbericht hält der Bund etwa 100 unmittelbare und knapp 500 mittelbare Unternehmensbeteiligungen. Mit den Betrieben der Länder und Kommunen kommt der Staat auf einige Tausend öffentlich-rechtliche Firmen. In vielen Fällen konnte nur der Staat die enormen Investitionskosten für die Errichtung der Netze schultern, insbesondere bei der Bahn. Würden Private und nicht der Staat das Schienennetz kontrollieren, führte dies zu erheblich höheren Bahnpreisen, was viele Bürger von der Nutzung der Bahn ausschließen würde. Um möglichst vielen Bürgern den Zugang zu so genannten natürlichen Monopolen wie dem Schienen- oder dem Straßennetz zu ermöglichen, plädieren auch die Fans der freien Marktwirtschaft dafür, diese in staatlicher Kontrolle zu halten. „Die Debatte um die richtige Balance zwischen Staat und Markt, privatem Profitstreben und Gemeinwohlorientierung sollte ohne ideologische Scheuklappen geführt werden“, meint dazu Achim Truger, Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen. Er führt das Beispiel Wohnungsmarkt an, zu dem Juso-Chef Kühnert besonders radikale Ideen hat. Ginge es nach dem Juso-Chef, dürfte jeder nur so viel Wohnraum besitzen, wie er bewohnt. Truger erinnert an frühere Regelungen in Deutschland und hält mit einem Verweis aufs Nachbarland Österreich dagegen. „Im Wohnungswesen war ein großer Anteil der Mietwohnungen dem Renditestreben privater Eigentümer entzogen. In Wien ist das immer noch der Fall, ohne dass der Sozialismus eingeführt worden wäre“, so der Duisburger Ökonom. In den 1980er Jahren hatte in den Kommunen eine Privatisierungswelle eingesetzt. Viele Städte verkauften etwa ihre Wohnungsunternehmen – vor allem aus Geldgründen. Erst in den vergangenen Jahren setzte die Gegenbewegung ein: Kommunen kauften ihre Unternehmen zurück, um wieder mehr günstigen Wohnraum oder eine bessere Wasserversorgung anbieten zu können. Das Gemeinwohl hatte unter den privatisierten Unternehmen zu sehr gelitten, weil diese Investitionen unterließen oder zu hohe Preise verlangten.

Mitarbeiterbeteiligung Ein wesentliches Anliegen von Kühnert ist es, dass Mitarbeiter besser als bisher am Gewinn eines Unternehmens beteiligt werden sollen. Derzeit ist das ein Kernelement von Aktiengesellschaften: Ihre Inhaber sind die Aktienbesitzer, sie halten Unternehmensanteile, bekommen eine entsprechend ihrer Anteile gestaffelte Gewinnausschüttung und können bei der jährlichen Hauptversammlung bis zu einem gewissen Maß mitbestimmen. Eine andere direkte Beteiligungsform bieten Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der GmbH. Allerdings müssten Mitarbeiter für jeden Anteilserwerb oder dessen Verkauf zum Notar gehen, zudem gibt es steuerliche Hürden. Deswegen fordert beispielsweise Florian Nöll, Chef des Bundesverbandes Deutscher Startups, eine leichtere Beteiligung von Mitarbeitern am Profit von Unternehmen. „Die bisherigen Formen der Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen sind für Startups nicht attraktiv. Da muss der Gesetzgeber nachbessern.“ Es brauche eine Änderung des GmbH-Rechts, damit es leichter für Mitarbeiter werde, Anteile zu erwerben. „Das würde uns Gründern sehr helfen, weil Mitarbeiter noch motivierter wären, das Unternehmen zum Erfolg zu bringen“, sagt Nöll. Mitarbeiter sollten bei einem Verkauf des Unternehmens oder bei einem Börsengang direkt profitieren. Bisher wird eine reine Elitenförderung betrieben. Steueranwälte verdienen an Unternehmen weit mehr als die eigenen Mitarbeiter. Der Profit bleibt bei einer Veräußerung allein beim Führungspersonal hängen. „Im Silicon Valley ist das Gegenteil der Fall: Als das Startup Twitter an die Börse ging, gab es auf einen Schlag 1600 Millionäre mehr, weil wirklich jeder Mitarbeiter bis zum Pförtner beteiligt war. Das brauchen wir auch in Deutschland“, sagt Nöll.

Genossenschaften Ein spannendes und zeitgemäßes Modell für die kollektive Verwaltung und Förderung von Wirtschaftsgütern sind Genossenschaften. Ihre Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück. Große Verbreitung fanden sie in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert. Sie starteten als Darlehenskassen. Die heutigen Volks- und Raiffeisenbanken führen vielfach noch die Abkürzung eG im Namen, was für eingetragene Genossenschaft steht. Aktuell gibt es in Deutschland rund 7600 Genossenschaften mit 20 Millionen Mitgliedern. Die meisten davon sind Banken. Rund 2000 Genossenschaften mit 2,2 Millionen Mitgliedern haben sich der Vermittlung von preiswertem Wohnraum verschrieben. Sie fungieren als Makler und Bauherren. Anders als großen Immobilienkonzernen geht es Genossenschaften nicht um Gewinnmaximierung sondern nur um die Vorsorge für ihre Gemeinschaft. Vielfach finden sich in den Genossenschaften Menschen zusammen, die nach alternativen Lebensformen streben. Energiegenossenschaften sorgen beispielsweise dafür, ihre Mitglieder dezentral, konzernunabhängig und ökologisch mit Strom zu versorgen. So sind Genossenschaften Formen einer kollektiven Organisation, die selbst so freiheitlich aufgestellt sind, dass sie sich mit einem kapitalistischen System gut vertragen. Am Ende müssen die Bürger mit den Füßen abstimmen, ob sie zu einer Genossenschaft gehen oder zu Privatanbietern.

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