Berlin Auch die SPD feiert Grün-Rot

Berlin · Grünen-Parteichefin Claudia Roth hat vor Monaten schon einmal versucht, das liebgewonnene rot-grüne Projekt auch einmal "Grün-Rot" zu nennen. An diesem Abend ist es kein Test mehr: Grün liegt in Stuttgart vor Rot; erstmals in der Parteigeschichte kann ein Grünen-Mitgründer vermutlich den Anspruch auf das Amt eines Ministerpräsidenten erheben. Zu diesem Anlass hat sich die Parteichefin ganz in Grün gekleidet, von den Schuhen über das Kostüm bis hin zum kleinen Herz-Anhänger um den Hals.

Aber viel ist davon heute in Berlin nicht zu sehen. Denn in der Grünen-Bundesgeschäftsstelle am Neuen Tor herrscht ein beispielhaftes Geschiebe und Gedränge von Medien und Sympathisanten, die an diesem historischen Tag einfach dabei sein wollen. "Historische Zäsur" lautet das Stichwort für die "grün-rote Zeitenwende", die Roth flugs ausruft. Und von Berlins Mitte aus sieht die ganze Republik plötzlich ganz anders aus.

Auch Fraktionschef Jürgen Trittin erinnert sich an erste Sprachversuche aus der Zeit, als die Grünen sich von Woche zu Woche auf neuen Umfrage-Höhenflügen wiederfanden und er mit dem Begriff "Grün-Rot" zu hantieren begann. Nach Baden-Württemberg müssten nun alle umlernen, bekräftigt Trittin und freut sich über den "schönen Tag". Als der eigentliche Wahlsieger Winfried Kretschmann auf den Bildschirmen erscheint, bricht ohrenbetäubender Jubel los. Der in Ehren Ergraute, der bei Parteitagen selten zu den Mitreißendsten gehörte, ist nun der Held der Parteigeschichte. Die Freude ist bei den Grünen ungeteilt. Denn auch Rheinland-Pfalz gibt Anlass zu fortgesetztem Beifall: nicht nur, dass die Grünen dort ihren Anteil verdoppeln und erneut (im Gegensatz zur FDP) in den Landtag einziehen – sie steuern auch direkt die Regierungsbank an.

Da bricht sich ein paar Kilometer Luftlinie weiter südlich SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auch keinen Zacken aus der Krone, als er die von der CDU-Kanzlerin als Volksabstimmung angekündigte Baden-Württemberg-Wahl als klare Willensbekundung des Volkes akzeptiert und daraufhin den Freunden von den Grünen aufrichtig gratuliert. Früher schmunzelten die Sozialdemokraten, wenn die Grünen Koalitionen "auf Augenhöhe" verlangten. Jetzt ist es die SPD, die wiederholt die "Augenhöhe" einfordert. So viele Menschen wie selten bei Landtagswahlen sind an diesem Abend in der SPD-Zentrale. Für die Bundestagswahl 2013 schnuppern die Sozialdemokraten Morgenluft – und hoffen, dass die Zukunft rot und grün aussehen möge. In welcher Reihenfolge auch immer.

(RP)
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