Atomwende im Eiltempo

Die Bundesregierung bereitet ihre Beschlüsse zur Energiewende vor: Bereits heute legt die Reaktorsicherheits-Kommission ihren Bericht vor, in zwei Wochen folgt die Ethik-Kommission.

Berlin Bis spät in den Abend brüteten gestern die 17 Mitglieder der Reaktorsicherheits-Kommission (RSK) über ihrem Bericht für die Bundesregierung. Weniger als drei Monate hatten sie Zeit, um zu überprüfen, wie es um den Schutz der 17 deutschen Atomkraftwerke (AKW) bestellt ist, käme es zu Überschwemmungen, Flugzeugabstürzen oder terroristischen Angriffen auf die Reaktoren. Heute, Schlag 12 Uhr, nimmt Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) ihren Bericht entgegen – es ist dies der erste Schritt zur Energiewende, die die Regierung noch vor der Sommerpause in einer Art Parforceritt durch die Parlamente bringen will. Wir beantworten dazu die wichtigsten Fragen.

Was genau hat die Reaktorsicherheits-Kommission untersucht?

In verschiedenen Teams sind die insgesamt etwa 80 Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler detaillierten Fragen zur Reaktorsicherheit nachgegangen. Dabei ging es etwa um die Frage, was passieren würde, wenn stärkere als bislang unterstellte Erdbeben auch Deutschland heimsuchen würden. Auch die Gefahren stärkerer Überschwemmungen wurden untersucht. Besonderes Augenmerk legten die Experten auf Flugzeugabstürze – durch Unfälle oder gezielte Terrorangriffe. Aus früheren Untersuchungen ging bereits hervor, dass vor allem die bereits abgeschalteten ältesten sieben Meiler vor Flugzeugabstürzen so gut wie gar nicht geschützt wären. Auch jüngere AKW, so hatten schon frühere Studien betont, seien gegen Abstürze von Passagiermaschinen nicht ausreichend geschützt.

Ihren Fragenkatalog hatte die RSK Anfang April auf 30 Seiten aufgelistet. Bei etlichen Fragen war sie auf Antworten der AKW-Betreiber angewiesen. "Fragen, die die Betreiber beantworten, können nicht ausreichend Auskunft über den Zustand der AKW geben", kritisiert die atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sylvia Kotting-Uhl. Die Regierung habe den Experten zudem viel zu wenig Zeit gelassen. "Weniger als drei Monate Zeit ist viel zu kurz, um eine Sicherheitsprüfung der Atomkraftwerke vorzunehmen." Frühere Überprüfungen hätten stets über ein Jahr gedauert.

Wozu dient der Bericht?

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll der RSK-Bericht die technischen Grundlagen für die anschließenden Bewertungen der Ethik-Kommission liefern, dem zweiten wichtigen Gremium, das den Weg zum Atomausstieg ebnen soll. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Ethik-Kommission eingesetzt und als Vorsitzende den früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) sowie den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, gewonnen.

Diese zweite Kommission, ebenfalls mit 17 Mitgliedern besetzt, soll schon am 30. Mai ihren Abschlussbericht vorlegen. Ein erster Entwurf dieses Berichts war unlängst an die Öffentlichkeit gelangt. Darin empfehlen die Autoren, den letzten deutschen Meiler 2021 vom Netz zu nehmen und die bereits abgeschalteten sieben älteren Meiler sowie den Pannenreaktor Krümmel nicht wieder hochzufahren.

Sie regen zudem einen "Ausstiegs-Korridor" für die jüngeren neun Meiler an. "Die nach den Maßstäben der Reaktorsicherheit als ,sicher' eingestuften Anlagen sollen schnellstmöglich in der Reihenfolge ihres verbleibenden Risikos und ihrer Bedeutung im Stromnetz abgeschaltet werden", heißt es in dem Berichtsentwurf. "Im besten Fall" könne der Ausstiegskorridor so verkürzt werden, dass das letzte AKW "schon deutlich eher" als 2021 vom Netz genommen werden könne. Die Veröffentlichung des Entwurfs hatte allerdings in der Kommission für größten Unmut gesorgt, denn er spiegelte nicht die Meinung aller Kommissionsmitglieder wider.

Wie sollen wegfallende AKW ersetzt werden?

Da in Deutschland mehr Strom produziert als verbraucht wurde, konnte das Land den Wegfall von 8,5 Gigawatt Leistung nach der Abschaltung der sieben älteren Meiler relativ problemlos verkraften. 2011 und 2012 entstehen zudem neue Kraftwerke, die zusätzlich 6,6 Gigawatt liefern werden. Bis 2019 sollen weitere 50 Kraftwerke (Wind, Gas, Steinkohle, Braunkohle, Biomasse, Müll, Laufwasser) mit einer Gesamtleistung von 30 Gigawatt ans Netz gehen, so der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der sich mittlerweile ebenfalls für den Atomausstieg 2020 bis 2023 ausspricht.

Wo soll der Atommüll künftig gelagert werden?

Die neue grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat Bewegung in die Diskussion über die Endlagerung gebracht: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte, kein Land dürfe sich bei der Endlagersuche ausnehmen, auch nicht Baden-Württemberg. Die Union beharrt jedoch vorerst noch darauf, den Salzstock im niedersächsichen Gorleben weiter zu erkunden – allerdings dürfte auch diese Position bald nicht mehr zu halten sein: Auch die Ethik-Kommission rät indirekt zur bundesweiten Suche. Sie empfiehlt, den radioaktiven Abfall auf "rückholbare Weise" zu lagern. "Dies erweitert den Suchraum für die Findung von Endlager-Stätten", heißt es in dem Berichtsentwurf.

Was will die SPD?

Die größte Oppositionspartei hat ein eigenes 50-Punkte-Papier zur Energiepolitik erarbeitet, das der Parteivorstand am kommenden Sonntag beschließen will. Darin fordert die SPD den Atomausstieg bis 2020, eine verschärfte Besteuerung der Energiekonzerne, eine ergebnisoffene Endlagersuche sowie ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf allen Autobahnen. Die Brennelementesteuer solle entfristet und so erhöht werden, "dass sie die erhöhte Gewinnspanne seit Einführung des europäischen Emissionshandels vollständig ausgleicht und eine Abgabe für die Kosten der Sanierung der Endlager Asse II und Morsleben enthält", heißt es im Entwurf des SPD-Eckpunktepapiers.

(RP)
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